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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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genau beurtheilen. Wer wollte heute von irgend einer
kleinen Formabänderung an einer Art sagen, dass sie ihren
Besitzer befähige, im Kampf ums Dasein zu siegen und
so zum Ausgangspunkt einer vortheilhaften Umgestaltung
dieses Theils zu werden? Selbst in den allereinfachsten
Fällen ist dies nicht möglich; Niemand könnte z. B. auch
nur darüber entscheiden, wie stark die Variation der Farbe
eines grünen Insectes sein müsse, um als Ausgangspunkt
eines Selectionsprocesses etwa bei Anpassung an eine neue
und etwas anders gefärbte Futterpflanze zu dienen. Wir
haben kein Urtheil über das, was Romanes kürzlich sehr
gut den "Selectionswerth" einer Variation genannt hat 1),
was Lloyd-Morgan schon früher als Eliminations-Value
bezeichnet hatte; wir können nur im Allgemeinen mit Dar-
win
sagen, dass Selection durch Häufung "kleinster Varia-
tionen" arbeitet, und daraus schliessen, dass diese
"kleinsten Variationen" Selectionswerth be-
sitzen müssen
. Die Höhe aber dieses Selectionswerthes
im einzelnen Fall genauer zu bestimmen, ist uns bis jetzt
nicht möglich gewesen.

Wenn man deshalb mit Herbert Spencer fragt:
Glauben Sie, dass ein geringes Plus von Feinfühligkeit der

1) Bei physiologischen Abänderungen scheint es etwas
anders zu sein, aber auch hier können Zahlenwerthe nicht
gegeben werden. Wenn z. B. einige Pflanzen einer südlichen
Art dem Winterfrost widerstehen, während die meisten ihm
erliegen, so ist damit der Selectionswerth dieser Variation er-
wiesen, aber hier kennen wir eben die Structurabänderung
selbst gar nicht, sondern nur ihren Effect und Nutzen für die
nach Norden vordringende Kolonie der Art. Ob die Art da-
durch schon befähigt wird, sich weiter nördlich auszubreiten,
ist damit natürlich auch noch nicht gesagt, sondern hängt von
vielen anderen Factoren zugleich ab.
3*

genau beurtheilen. Wer wollte heute von irgend einer
kleinen Formabänderung an einer Art sagen, dass sie ihren
Besitzer befähige, im Kampf ums Dasein zu siegen und
so zum Ausgangspunkt einer vortheilhaften Umgestaltung
dieses Theils zu werden? Selbst in den allereinfachsten
Fällen ist dies nicht möglich; Niemand könnte z. B. auch
nur darüber entscheiden, wie stark die Variation der Farbe
eines grünen Insectes sein müsse, um als Ausgangspunkt
eines Selectionsprocesses etwa bei Anpassung an eine neue
und etwas anders gefärbte Futterpflanze zu dienen. Wir
haben kein Urtheil über das, was Romanes kürzlich sehr
gut den „Selectionswerth“ einer Variation genannt hat 1),
was Lloyd-Morgan schon früher als Eliminations-Value
bezeichnet hatte; wir können nur im Allgemeinen mit Dar-
win
sagen, dass Selection durch Häufung „kleinster Varia-
tionen“ arbeitet, und daraus schliessen, dass diese
„kleinsten Variationen“ Selectionswerth be-
sitzen müssen
. Die Höhe aber dieses Selectionswerthes
im einzelnen Fall genauer zu bestimmen, ist uns bis jetzt
nicht möglich gewesen.

Wenn man deshalb mit Herbert Spencer fragt:
Glauben Sie, dass ein geringes Plus von Feinfühligkeit der

1) Bei physiologischen Abänderungen scheint es etwas
anders zu sein, aber auch hier können Zahlenwerthe nicht
gegeben werden. Wenn z. B. einige Pflanzen einer südlichen
Art dem Winterfrost widerstehen, während die meisten ihm
erliegen, so ist damit der Selectionswerth dieser Variation er-
wiesen, aber hier kennen wir eben die Structurabänderung
selbst gar nicht, sondern nur ihren Effect und Nutzen für die
nach Norden vordringende Kolonie der Art. Ob die Art da-
durch schon befähigt wird, sich weiter nördlich auszubreiten,
ist damit natürlich auch noch nicht gesagt, sondern hängt von
vielen anderen Factoren zugleich ab.
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[35/0047] genau beurtheilen. Wer wollte heute von irgend einer kleinen Formabänderung an einer Art sagen, dass sie ihren Besitzer befähige, im Kampf ums Dasein zu siegen und so zum Ausgangspunkt einer vortheilhaften Umgestaltung dieses Theils zu werden? Selbst in den allereinfachsten Fällen ist dies nicht möglich; Niemand könnte z. B. auch nur darüber entscheiden, wie stark die Variation der Farbe eines grünen Insectes sein müsse, um als Ausgangspunkt eines Selectionsprocesses etwa bei Anpassung an eine neue und etwas anders gefärbte Futterpflanze zu dienen. Wir haben kein Urtheil über das, was Romanes kürzlich sehr gut den „Selectionswerth“ einer Variation genannt hat 1), was Lloyd-Morgan schon früher als Eliminations-Value bezeichnet hatte; wir können nur im Allgemeinen mit Dar- win sagen, dass Selection durch Häufung „kleinster Varia- tionen“ arbeitet, und daraus schliessen, dass diese „kleinsten Variationen“ Selectionswerth be- sitzen müssen. Die Höhe aber dieses Selectionswerthes im einzelnen Fall genauer zu bestimmen, ist uns bis jetzt nicht möglich gewesen. Wenn man deshalb mit Herbert Spencer fragt: Glauben Sie, dass ein geringes Plus von Feinfühligkeit der 1) Bei physiologischen Abänderungen scheint es etwas anders zu sein, aber auch hier können Zahlenwerthe nicht gegeben werden. Wenn z. B. einige Pflanzen einer südlichen Art dem Winterfrost widerstehen, während die meisten ihm erliegen, so ist damit der Selectionswerth dieser Variation er- wiesen, aber hier kennen wir eben die Structurabänderung selbst gar nicht, sondern nur ihren Effect und Nutzen für die nach Norden vordringende Kolonie der Art. Ob die Art da- durch schon befähigt wird, sich weiter nördlich auszubreiten, ist damit natürlich auch noch nicht gesagt, sondern hängt von vielen anderen Factoren zugleich ab. 3*

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/47>, abgerufen am 21.11.2024.