Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
hinten auf Masten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das
schützende Kielwasser und ist Sturzseen ausgesetzt. Unsere "Alma"
lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir diese Position dem
Segeln vor stürmischen Winden vor. Bei letzterem schlingerten
wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine seitliche
Stütze gaben, oft so entsetzlich, daß fast die Spitzen der Unter-
raaen in das Wasser tauchten, wir von beiden Seiten über die
Verschanzung Wasser schöpften und beständig ein nasses, schlüpfe-
riges Deck hatten.

Bei solchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der
Seebeine schätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un-
erträglich, wenn man Tage und Wochen lang sich nur an auf-
gespannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen
bewegen kann, bei den Mahlzeiten sich auf das platte Deck mit
irgendwo festgestemmten Füßen setzen und dann noch den Suppen-
napf mit großer Kunst balanciren muß, um nicht durch ein
heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geschleudert zu werden.
Unter solchen Verhältnissen war das Beidrehen eine ordentliche
Erholung. Das schreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen
ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menschen.
Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen so
tief stampfte, daß uns der Athem stockte, so war das lange nicht
so unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herschleu-
dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordsee und im
Biscayischen Meerbusen gesehen, waren Kinderspiel gegen
den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte
nicht geglaubt, daß sich solche Wasserberge aufthürmen könnten,
und wenn einzelne derselben angerollt kamen, zuerst den Bug
des Schiffes und dann das Heck so hoch empor hoben, daß es
unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder
niederwärts zeigte, dann mußte man sich an solche gewaltsame
Bewegungen erst gewöhnen, um nicht durch sie erschreckt und
schwindlich zu werden.


Werner
hinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das
ſchützende Kielwaſſer und iſt Sturzſeen ausgeſetzt. Unſere „Alma“
lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem
Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten
wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche
Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter-
raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die
Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe-
riges Deck hatten.

Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der
Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un-
erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf-
geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen
bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit
irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen-
napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein
heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden.
Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche
Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen
ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen.
Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo
tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht
ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herſchleu-
dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im
Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen
den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte
nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten,
und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug
des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es
unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder
niederwärts zeigte, dann mußte man ſich an ſolche gewaltſame
Bewegungen erſt gewöhnen, um nicht durch ſie erſchreckt und
ſchwindlich zu werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="106"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
hinten auf Ma&#x017F;ten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das<lb/>
&#x017F;chützende Kielwa&#x017F;&#x017F;er und i&#x017F;t Sturz&#x017F;een ausge&#x017F;etzt. Un&#x017F;ere &#x201E;Alma&#x201C;<lb/>
lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir die&#x017F;e Po&#x017F;ition dem<lb/>
Segeln vor &#x017F;türmi&#x017F;chen Winden vor. Bei letzterem &#x017F;chlingerten<lb/>
wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine &#x017F;eitliche<lb/>
Stütze gaben, oft &#x017F;o ent&#x017F;etzlich, daß fa&#x017F;t die Spitzen der Unter-<lb/>
raaen in das Wa&#x017F;&#x017F;er tauchten, wir von beiden Seiten über die<lb/>
Ver&#x017F;chanzung Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chöpften und be&#x017F;tändig ein na&#x017F;&#x017F;es, &#x017F;chlüpfe-<lb/>
riges Deck hatten.</p><lb/>
        <p>Bei &#x017F;olchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der<lb/>
Seebeine &#x017F;chätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un-<lb/>
erträglich, wenn man Tage und Wochen lang &#x017F;ich nur an auf-<lb/>
ge&#x017F;pannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen<lb/>
bewegen kann, bei den Mahlzeiten &#x017F;ich auf das platte Deck mit<lb/>
irgendwo fe&#x017F;tge&#x017F;temmten Füßen &#x017F;etzen und dann noch den Suppen-<lb/>
napf mit großer Kun&#x017F;t balanciren muß, um nicht durch ein<lb/>
heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke ge&#x017F;chleudert zu werden.<lb/>
Unter &#x017F;olchen Verhältni&#x017F;&#x017F;en war das Beidrehen eine ordentliche<lb/>
Erholung. Das &#x017F;chreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen<lb/>
ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Men&#x017F;chen.<lb/>
Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen &#x017F;o<lb/>
tief &#x017F;tampfte, daß uns der Athem &#x017F;tockte, &#x017F;o war das lange nicht<lb/>
&#x017F;o unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Her&#x017F;chleu-<lb/>
dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nord&#x017F;ee und im<lb/>
Biscayi&#x017F;chen Meerbu&#x017F;en ge&#x017F;ehen, waren Kinder&#x017F;piel gegen<lb/>
den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte<lb/>
nicht geglaubt, daß &#x017F;ich &#x017F;olche Wa&#x017F;&#x017F;erberge aufthürmen könnten,<lb/>
und wenn einzelne der&#x017F;elben angerollt kamen, zuer&#x017F;t den Bug<lb/>
des Schiffes und dann das Heck &#x017F;o hoch empor hoben, daß es<lb/>
unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder<lb/>
niederwärts zeigte, dann mußte man &#x017F;ich an &#x017F;olche gewalt&#x017F;ame<lb/>
Bewegungen er&#x017F;t gewöhnen, um nicht durch &#x017F;ie er&#x017F;chreckt und<lb/>
&#x017F;chwindlich zu werden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0118] Werner hinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das ſchützende Kielwaſſer und iſt Sturzſeen ausgeſetzt. Unſere „Alma“ lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter- raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe- riges Deck hatten. Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un- erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf- geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen- napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden. Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herſchleu- dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder niederwärts zeigte, dann mußte man ſich an ſolche gewaltſame Bewegungen erſt gewöhnen, um nicht durch ſie erſchreckt und ſchwindlich zu werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/118
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/118>, abgerufen am 21.11.2024.