10--12000 Menschen und mehr Besatzung von den Wellen begraben werden.
Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und ich wurde mit in die Gig geschickt. Wir segelten mit der frischen Seebriese hinein und gelangten ziemlich schnell bis an den schmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet und durch niedriges sumpfiges Land führt. Hier mußte wegen Windstille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir fast noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz erreichten, kamen wir bei der sengenden Sonnengluth in Schweiß gebadet an. Die Landungsstelle war nicht sehr einladend; eine Menge Boote mit schreienden und gesticulirenden Malayen, Chinesen und Laskaren lag dicht zusammengedrängt dort, so daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten; daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javanische Ochsen, in dem schlammigen Wasser, um sich gegen Fliegen zu schützen, so daß nur ihr ungeschlachter Kopf heraussah, und zwischen ihnen badeten eben so viel Malayen jeden Alters und Ge- schlechtes. Die nächste Umgebung bildeten große todtblickende Speicher, der Beginn der ohne alle architektonische Schönheit nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen gegenüber erhob sich der niedrige Erdwall einer Befestigung, der statt der Pallisaden durch eine allerdings eben so wirksame lebendige und sechs Fuß dicke Hecke von Cactus geschützt wurde. Ueber diesem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er- hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene- tranter Geruch von verwesenden Körpern beleidigte die Nase. Der Kapitän bestieg einen der am Platze haltenden und mit feurigen Ponies bespannten Miethwagen, um nach Welltefreden, der Villenvorstadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia selbst sich nur die Geschäfts- und Waarenhäuser befinden. Unsere neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den
Werner
10—12000 Menſchen und mehr Beſatzung von den Wellen begraben werden.
Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und ich wurde mit in die Gig geſchickt. Wir ſegelten mit der friſchen Seebrieſe hinein und gelangten ziemlich ſchnell bis an den ſchmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet und durch niedriges ſumpfiges Land führt. Hier mußte wegen Windſtille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir faſt noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz erreichten, kamen wir bei der ſengenden Sonnengluth in Schweiß gebadet an. Die Landungsſtelle war nicht ſehr einladend; eine Menge Boote mit ſchreienden und geſticulirenden Malayen, Chineſen und Laskaren lag dicht zuſammengedrängt dort, ſo daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten; daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javaniſche Ochſen, in dem ſchlammigen Waſſer, um ſich gegen Fliegen zu ſchützen, ſo daß nur ihr ungeſchlachter Kopf herausſah, und zwiſchen ihnen badeten eben ſo viel Malayen jeden Alters und Ge- ſchlechtes. Die nächſte Umgebung bildeten große todtblickende Speicher, der Beginn der ohne alle architektoniſche Schönheit nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen gegenüber erhob ſich der niedrige Erdwall einer Befeſtigung, der ſtatt der Palliſaden durch eine allerdings eben ſo wirkſame lebendige und ſechs Fuß dicke Hecke von Cactus geſchützt wurde. Ueber dieſem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er- hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene- tranter Geruch von verweſenden Körpern beleidigte die Naſe. Der Kapitän beſtieg einen der am Platze haltenden und mit feurigen Ponies beſpannten Miethwagen, um nach Welltefreden, der Villenvorſtadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia ſelbſt ſich nur die Geſchäfts- und Waarenhäuſer befinden. Unſere neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den
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Werner
10—12000 Menſchen und mehr Beſatzung von den Wellen
begraben werden.
Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und
ich wurde mit in die Gig geſchickt. Wir ſegelten mit der
friſchen Seebrieſe hinein und gelangten ziemlich ſchnell bis an
den ſchmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet
und durch niedriges ſumpfiges Land führt. Hier mußte wegen
Windſtille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir faſt
noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz
erreichten, kamen wir bei der ſengenden Sonnengluth in Schweiß
gebadet an. Die Landungsſtelle war nicht ſehr einladend; eine
Menge Boote mit ſchreienden und geſticulirenden Malayen,
Chineſen und Laskaren lag dicht zuſammengedrängt dort, ſo
daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten;
daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javaniſche Ochſen,
in dem ſchlammigen Waſſer, um ſich gegen Fliegen zu ſchützen,
ſo daß nur ihr ungeſchlachter Kopf herausſah, und zwiſchen
ihnen badeten eben ſo viel Malayen jeden Alters und Ge-
ſchlechtes. Die nächſte Umgebung bildeten große todtblickende
Speicher, der Beginn der ohne alle architektoniſche Schönheit
nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen
gegenüber erhob ſich der niedrige Erdwall einer Befeſtigung,
der ſtatt der Palliſaden durch eine allerdings eben ſo wirkſame
lebendige und ſechs Fuß dicke Hecke von Cactus geſchützt wurde.
Ueber dieſem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er-
hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene-
tranter Geruch von verweſenden Körpern beleidigte die Naſe.
Der Kapitän beſtieg einen der am Platze haltenden und mit
feurigen Ponies beſpannten Miethwagen, um nach Welltefreden,
der Villenvorſtadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft
und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia ſelbſt
ſich nur die Geſchäfts- und Waarenhäuſer befinden. Unſere
neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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