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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
und an denen die Fortschritte der Zeit wie an dem Reiche der
Mitte selbst, spurlos vorübergegangen sind, waren da. Vorn
und hinten thürmen sich auf ihnen hohe Kastelle; an ihren
Pfahlmasten hängen schwerfällige Mattensegel, nach Art unserer
hölzernen Jalousien construirt, und ihre ganze Erscheinung macht
den Eindruck der größten Ungeschicklichkeit und Unbeholfenheit,
der nirgends durch gefällige Linien, wie man sie bei den Fahr-
zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das
Segeln am Winde und Laviren, welches unsere Altvorderen,
die Sachsen, bereits vor mehr als anderthalb Tausend Jahren
erfanden, ist ihnen noch heute eine unverstandene Kunst; sie ver-
mögen deshalb nur mit günstigem Winde zu segeln und können
trotz der geringen Entfernung zwischen China und Java jährlich
nicht mehr als eine Reise machen. Es wehen auf dieser Strecke
halbjährliche Winde, die Monsune, mit entgegengesetzten Rich-
tungen; mit dem Ost-Monsun kommen sie südwärts, und kehren
nach vier- bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Westwinde
in ihre Heimath zurück. Von astronomischen Ortsbestimmungen
haben sie kein Verständniß; wie die alten Phönicier nur längs
der Küste segelnd, suchen sie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren
Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder
Dschunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch
groteskeres Aussehen verleihen, nicht finden zu können. Von
Schiffahrts-Instrumenten besitzen sie nur den Compaß. Es ist
historisch nachgewiesen, daß die Chinesen ihn bereits 500 Jahre
früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber
er ist noch eben so primitiv wie damals und hat es nicht vermocht,
ihre Navigation zu Verbesserungen anzuspornen, obwohl China
so viel Fahrzeuge zählt, wie fast die ganze übrige Welt zu-
sammen genommen. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn
wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chinesischen
Küste von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich sind
und daß an einem Tage bisweilen 6--800 Dschunken mit

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Eine erſte Seereiſe
und an denen die Fortſchritte der Zeit wie an dem Reiche der
Mitte ſelbſt, ſpurlos vorübergegangen ſind, waren da. Vorn
und hinten thürmen ſich auf ihnen hohe Kaſtelle; an ihren
Pfahlmaſten hängen ſchwerfällige Mattenſegel, nach Art unſerer
hölzernen Jalouſien conſtruirt, und ihre ganze Erſcheinung macht
den Eindruck der größten Ungeſchicklichkeit und Unbeholfenheit,
der nirgends durch gefällige Linien, wie man ſie bei den Fahr-
zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das
Segeln am Winde und Laviren, welches unſere Altvorderen,
die Sachſen, bereits vor mehr als anderthalb Tauſend Jahren
erfanden, iſt ihnen noch heute eine unverſtandene Kunſt; ſie ver-
mögen deshalb nur mit günſtigem Winde zu ſegeln und können
trotz der geringen Entfernung zwiſchen China und Java jährlich
nicht mehr als eine Reiſe machen. Es wehen auf dieſer Strecke
halbjährliche Winde, die Monſune, mit entgegengeſetzten Rich-
tungen; mit dem Oſt-Monſun kommen ſie ſüdwärts, und kehren
nach vier- bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Weſtwinde
in ihre Heimath zurück. Von aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen
haben ſie kein Verſtändniß; wie die alten Phönicier nur längs
der Küſte ſegelnd, ſuchen ſie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren
Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder
Dſchunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch
groteskeres Ausſehen verleihen, nicht finden zu können. Von
Schiffahrts-Inſtrumenten beſitzen ſie nur den Compaß. Es iſt
hiſtoriſch nachgewieſen, daß die Chineſen ihn bereits 500 Jahre
früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber
er iſt noch eben ſo primitiv wie damals und hat es nicht vermocht,
ihre Navigation zu Verbeſſerungen anzuſpornen, obwohl China
ſo viel Fahrzeuge zählt, wie faſt die ganze übrige Welt zu-
ſammen genommen. Es iſt deshalb nicht zu verwundern, wenn
wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chineſiſchen
Küſte von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich ſind
und daß an einem Tage bisweilen 6—800 Dſchunken mit

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[115/0127] Eine erſte Seereiſe und an denen die Fortſchritte der Zeit wie an dem Reiche der Mitte ſelbſt, ſpurlos vorübergegangen ſind, waren da. Vorn und hinten thürmen ſich auf ihnen hohe Kaſtelle; an ihren Pfahlmaſten hängen ſchwerfällige Mattenſegel, nach Art unſerer hölzernen Jalouſien conſtruirt, und ihre ganze Erſcheinung macht den Eindruck der größten Ungeſchicklichkeit und Unbeholfenheit, der nirgends durch gefällige Linien, wie man ſie bei den Fahr- zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das Segeln am Winde und Laviren, welches unſere Altvorderen, die Sachſen, bereits vor mehr als anderthalb Tauſend Jahren erfanden, iſt ihnen noch heute eine unverſtandene Kunſt; ſie ver- mögen deshalb nur mit günſtigem Winde zu ſegeln und können trotz der geringen Entfernung zwiſchen China und Java jährlich nicht mehr als eine Reiſe machen. Es wehen auf dieſer Strecke halbjährliche Winde, die Monſune, mit entgegengeſetzten Rich- tungen; mit dem Oſt-Monſun kommen ſie ſüdwärts, und kehren nach vier- bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Weſtwinde in ihre Heimath zurück. Von aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen haben ſie kein Verſtändniß; wie die alten Phönicier nur längs der Küſte ſegelnd, ſuchen ſie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder Dſchunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch groteskeres Ausſehen verleihen, nicht finden zu können. Von Schiffahrts-Inſtrumenten beſitzen ſie nur den Compaß. Es iſt hiſtoriſch nachgewieſen, daß die Chineſen ihn bereits 500 Jahre früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber er iſt noch eben ſo primitiv wie damals und hat es nicht vermocht, ihre Navigation zu Verbeſſerungen anzuſpornen, obwohl China ſo viel Fahrzeuge zählt, wie faſt die ganze übrige Welt zu- ſammen genommen. Es iſt deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chineſiſchen Küſte von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich ſind und daß an einem Tage bisweilen 6—800 Dſchunken mit 8*

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/127>, abgerufen am 21.11.2024.