den Kranze umsäumte. Es gelang uns, dieselbe ganz nahe zu umsteuern, hinter ihr in dem stillen Wasser mit den Booten das Ufer zu erreichen und sie mit den Fangleinen an einem Baume zu befestigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung, am anderen Morgen mit der Seebriese an Bord unseres Schiffes zurückkehren zu können.
So lange wir uns im Boote und in so großer geistiger Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er- mattung, nun aber begann sie sich fühlbar zu machen. Uns quälte Durst, aber wo war Wasser zu finden? Auf keiner dieser kleinen Inseln giebt es Trinkwasser. Wahrscheinlich hatten sich irgendwo im Innern nach dem schweren Regen Pfützen ge- bildet, doch mit Ausnahme des schmalen Küstenrandes, war die Insel mit so dichtem Gebüsch bedeckt, daß wir bei der Dunkel- heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern Morgen vertrösten mußten. Wir streckten uns in unseren nassen Kleidern auf dem nassen Boden aus und versuchten zu schlafen. Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver- lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windstoß durch die Bäume zu unseren Häupten pfiff, dann schreckte ich auf und glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören.
Das war nun schon der zweite, der in der Zeit von wenigen Monaten gewaltsam aus unserer kleinen Schaar her- ausgerissen wurde. Wen würde das nächste Todesloos tref- fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe gestanden, viel weniger nahe, als Heinrich Petersen, den die See vom Klüver- baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere ist so ganz anders, wie am Lande, so viel trauriger und ergreifender. Wenn Je- mand am Lande stirbt, so ist man immer mehr oder minder darauf vorbereitet und wäre es selbst nicht der Fall, so sind wenigstens seine sterblichen Reste vorhanden; man folgt ihm zu Grabe und der Denkstein erinnert uns an ihn. Doch auf See bei einem solchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der
Werner
den Kranze umſäumte. Es gelang uns, dieſelbe ganz nahe zu umſteuern, hinter ihr in dem ſtillen Waſſer mit den Booten das Ufer zu erreichen und ſie mit den Fangleinen an einem Baume zu befeſtigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung, am anderen Morgen mit der Seebrieſe an Bord unſeres Schiffes zurückkehren zu können.
So lange wir uns im Boote und in ſo großer geiſtiger Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er- mattung, nun aber begann ſie ſich fühlbar zu machen. Uns quälte Durſt, aber wo war Waſſer zu finden? Auf keiner dieſer kleinen Inſeln giebt es Trinkwaſſer. Wahrſcheinlich hatten ſich irgendwo im Innern nach dem ſchweren Regen Pfützen ge- bildet, doch mit Ausnahme des ſchmalen Küſtenrandes, war die Inſel mit ſo dichtem Gebüſch bedeckt, daß wir bei der Dunkel- heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern Morgen vertröſten mußten. Wir ſtreckten uns in unſeren naſſen Kleidern auf dem naſſen Boden aus und verſuchten zu ſchlafen. Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver- lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windſtoß durch die Bäume zu unſeren Häupten pfiff, dann ſchreckte ich auf und glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören.
Das war nun ſchon der zweite, der in der Zeit von wenigen Monaten gewaltſam aus unſerer kleinen Schaar her- ausgeriſſen wurde. Wen würde das nächſte Todesloos tref- fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe geſtanden, viel weniger nahe, als Heinrich Peterſen, den die See vom Klüver- baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere iſt ſo ganz anders, wie am Lande, ſo viel trauriger und ergreifender. Wenn Je- mand am Lande ſtirbt, ſo iſt man immer mehr oder minder darauf vorbereitet und wäre es ſelbſt nicht der Fall, ſo ſind wenigſtens ſeine ſterblichen Reſte vorhanden; man folgt ihm zu Grabe und der Denkſtein erinnert uns an ihn. Doch auf See bei einem ſolchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der
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Werner
den Kranze umſäumte. Es gelang uns, dieſelbe ganz nahe zu
umſteuern, hinter ihr in dem ſtillen Waſſer mit den Booten das
Ufer zu erreichen und ſie mit den Fangleinen an einem Baume
zu befeſtigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung,
am anderen Morgen mit der Seebrieſe an Bord unſeres Schiffes
zurückkehren zu können.
So lange wir uns im Boote und in ſo großer geiſtiger
Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er-
mattung, nun aber begann ſie ſich fühlbar zu machen. Uns
quälte Durſt, aber wo war Waſſer zu finden? Auf keiner
dieſer kleinen Inſeln giebt es Trinkwaſſer. Wahrſcheinlich hatten
ſich irgendwo im Innern nach dem ſchweren Regen Pfützen ge-
bildet, doch mit Ausnahme des ſchmalen Küſtenrandes, war die
Inſel mit ſo dichtem Gebüſch bedeckt, daß wir bei der Dunkel-
heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern
Morgen vertröſten mußten. Wir ſtreckten uns in unſeren naſſen
Kleidern auf dem naſſen Boden aus und verſuchten zu ſchlafen.
Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver-
lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windſtoß durch die
Bäume zu unſeren Häupten pfiff, dann ſchreckte ich auf und
glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören.
Das war nun ſchon der zweite, der in der Zeit von
wenigen Monaten gewaltſam aus unſerer kleinen Schaar her-
ausgeriſſen wurde. Wen würde das nächſte Todesloos tref-
fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe geſtanden, viel
weniger nahe, als Heinrich Peterſen, den die See vom Klüver-
baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere iſt ſo ganz anders,
wie am Lande, ſo viel trauriger und ergreifender. Wenn Je-
mand am Lande ſtirbt, ſo iſt man immer mehr oder minder
darauf vorbereitet und wäre es ſelbſt nicht der Fall, ſo
ſind wenigſtens ſeine ſterblichen Reſte vorhanden; man folgt
ihm zu Grabe und der Denkſtein erinnert uns an ihn. Doch
auf See bei einem ſolchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/136>, abgerufen am 11.05.2024.
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