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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
Betreffende ist uns nahe -- wir hören seine Stimme, wir
scherzen oder sprechen mit ihm, und plötzlich ist er von unserer
Seite verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Jung,
kräftig und gesund steht er vor uns und im nächsten Augenblick
ruht er in dem weiten nassen Grabe. Kein äußeres Zeichen
irgend welcher Art erinnert mehr an ihn -- nur sein leerer
Platz ist sein Grabstein, und diese Leere, die er hinterläßt, hat
etwas so tief trauriges.

Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte
sich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer
lag ruhig und spiegelglatt vor unseren Blicken. Unser Durst
war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch
das Gebüsch, um Wasser zu suchen. Es gelang; in einer Lich-
tung hatte sich Wasser in einem Tümpel gesammelt, aber ein
breiter Streifen Morast umgab ihn. Wir sanken so tief ein,
daß keine Möglichkeit war, das Wasser zu erreichen, und doch
mußten wir auf irgend eine Weise dazu gelangen. Sein Anblick
hatte uns erst recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge
klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen.

Endlich kam uns der Gedanke, den Morast zu überbrücken.
Wir schnitten mit unseren Messern Zweige, banden sie zu
Faschinen, warfen sie in die weiche Masse und legten die Boots-
riemen und die losen Ruderbänke sowie die Ruder und Boden-
bretter der Boote darauf. Auf diese Weise gelang es uns, nach
stundenlanger mühsamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche
vorsichtig uns vorschiebend, bis an das Wasser zu kommen. Es
war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die
wir erst abstreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem
die widrige Flüssigkeit einschlürften, mit der wir möglicher
Weise das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag
nur der zu ermessen, der die Qualen des Durstes selbst em-
pfunden.

Die Insel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei

Eine erſte Seereiſe
Betreffende iſt uns nahe — wir hören ſeine Stimme, wir
ſcherzen oder ſprechen mit ihm, und plötzlich iſt er von unſerer
Seite verſchwunden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen. Jung,
kräftig und geſund ſteht er vor uns und im nächſten Augenblick
ruht er in dem weiten naſſen Grabe. Kein äußeres Zeichen
irgend welcher Art erinnert mehr an ihn — nur ſein leerer
Platz iſt ſein Grabſtein, und dieſe Leere, die er hinterläßt, hat
etwas ſo tief trauriges.

Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte
ſich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer
lag ruhig und ſpiegelglatt vor unſeren Blicken. Unſer Durſt
war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch
das Gebüſch, um Waſſer zu ſuchen. Es gelang; in einer Lich-
tung hatte ſich Waſſer in einem Tümpel geſammelt, aber ein
breiter Streifen Moraſt umgab ihn. Wir ſanken ſo tief ein,
daß keine Möglichkeit war, das Waſſer zu erreichen, und doch
mußten wir auf irgend eine Weiſe dazu gelangen. Sein Anblick
hatte uns erſt recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge
klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen.

Endlich kam uns der Gedanke, den Moraſt zu überbrücken.
Wir ſchnitten mit unſeren Meſſern Zweige, banden ſie zu
Faſchinen, warfen ſie in die weiche Maſſe und legten die Boots-
riemen und die loſen Ruderbänke ſowie die Ruder und Boden-
bretter der Boote darauf. Auf dieſe Weiſe gelang es uns, nach
ſtundenlanger mühſamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche
vorſichtig uns vorſchiebend, bis an das Waſſer zu kommen. Es
war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die
wir erſt abſtreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem
die widrige Flüſſigkeit einſchlürften, mit der wir möglicher
Weiſe das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag
nur der zu ermeſſen, der die Qualen des Durſtes ſelbſt em-
pfunden.

Die Inſel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei

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[125/0137] Eine erſte Seereiſe Betreffende iſt uns nahe — wir hören ſeine Stimme, wir ſcherzen oder ſprechen mit ihm, und plötzlich iſt er von unſerer Seite verſchwunden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen. Jung, kräftig und geſund ſteht er vor uns und im nächſten Augenblick ruht er in dem weiten naſſen Grabe. Kein äußeres Zeichen irgend welcher Art erinnert mehr an ihn — nur ſein leerer Platz iſt ſein Grabſtein, und dieſe Leere, die er hinterläßt, hat etwas ſo tief trauriges. Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte ſich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer lag ruhig und ſpiegelglatt vor unſeren Blicken. Unſer Durſt war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch das Gebüſch, um Waſſer zu ſuchen. Es gelang; in einer Lich- tung hatte ſich Waſſer in einem Tümpel geſammelt, aber ein breiter Streifen Moraſt umgab ihn. Wir ſanken ſo tief ein, daß keine Möglichkeit war, das Waſſer zu erreichen, und doch mußten wir auf irgend eine Weiſe dazu gelangen. Sein Anblick hatte uns erſt recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen. Endlich kam uns der Gedanke, den Moraſt zu überbrücken. Wir ſchnitten mit unſeren Meſſern Zweige, banden ſie zu Faſchinen, warfen ſie in die weiche Maſſe und legten die Boots- riemen und die loſen Ruderbänke ſowie die Ruder und Boden- bretter der Boote darauf. Auf dieſe Weiſe gelang es uns, nach ſtundenlanger mühſamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche vorſichtig uns vorſchiebend, bis an das Waſſer zu kommen. Es war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die wir erſt abſtreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem die widrige Flüſſigkeit einſchlürften, mit der wir möglicher Weiſe das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag nur der zu ermeſſen, der die Qualen des Durſtes ſelbſt em- pfunden. Die Inſel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/137>, abgerufen am 21.11.2024.