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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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einer kleinen Hochebene im Innern der Insel; man sieht es
von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von
der Besatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die
Gesundheitsbehörde wollte zuerst überhaupt keine Communication
mit dem Lande gestatten, weil wir einen Todten gehabt und ich
krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch untersucht hatte,
erklärte er mein Leiden als nicht ansteckend und ließ freien Ver-
kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich
blieb nach wie vor mir allein überlassen -- meine Natur mußte
sich selbst helfen.

St. Helena ist eine steil aus dem Ocean aufsteigende
Felseninsel, deren höchste Spitze sich bis zu 500 Meter erhebt
und die eine Länge von 21/2 bei einer Breite von 11/2 Meilen
hat. Ihre kleine Hauptstadt Jamestown liegt in einem roman-
tischen Thale an der Nordostseite der Insel, mithin leewärts und
geschützt vor dem Südostpassat. Die begrenzte Bucht vor diesem
Thale ist auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küste,
welche den Eindruck einer gigantischen Felsenmauer macht, stürzt
eben so senkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie sie über
Wasser in die Lüfte strebt. Man ankert etwa 1000 Schritte
von der Stadt, aber bei der Durchsichtigkeit der Atmosphäre
und der Höhe der Felsen glaubt man kaum 100 Schritt ent-
fernt zu sein. Schiffe liegen völlig sicher auf der Rhede; dann
und wann kommt ein Windstoß über die Berge, der jedoch nur
oben durch die Mastspitzen pfeift und die Wasserfläche kaum
kräuselt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der
Seegang des atlantischen Oceans sich ununterbrochen an den
Basaltwänden der Insel bricht und der stete Donner der Bran-
dung an das Ohr schlägt. Das Landen bei der Stadt, wo
weder eine Mole noch sonstige Einrichtungen den Booten ein
ruhiges Anlegen gestattet, ist sehr schwierig, weil die Fahrzeuge
durch den Seegang beständig 3 bis 4 Meter auf und nieder
wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen

Werner
einer kleinen Hochebene im Innern der Inſel; man ſieht es
von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von
der Beſatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die
Geſundheitsbehörde wollte zuerſt überhaupt keine Communication
mit dem Lande geſtatten, weil wir einen Todten gehabt und ich
krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch unterſucht hatte,
erklärte er mein Leiden als nicht anſteckend und ließ freien Ver-
kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich
blieb nach wie vor mir allein überlaſſen — meine Natur mußte
ſich ſelbſt helfen.

St. Helena iſt eine ſteil aus dem Ocean aufſteigende
Felſeninſel, deren höchſte Spitze ſich bis zu 500 Meter erhebt
und die eine Länge von 2½ bei einer Breite von 1½ Meilen
hat. Ihre kleine Hauptſtadt Jamestown liegt in einem roman-
tiſchen Thale an der Nordoſtſeite der Inſel, mithin leewärts und
geſchützt vor dem Südoſtpaſſat. Die begrenzte Bucht vor dieſem
Thale iſt auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küſte,
welche den Eindruck einer gigantiſchen Felſenmauer macht, ſtürzt
eben ſo ſenkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie ſie über
Waſſer in die Lüfte ſtrebt. Man ankert etwa 1000 Schritte
von der Stadt, aber bei der Durchſichtigkeit der Atmoſphäre
und der Höhe der Felſen glaubt man kaum 100 Schritt ent-
fernt zu ſein. Schiffe liegen völlig ſicher auf der Rhede; dann
und wann kommt ein Windſtoß über die Berge, der jedoch nur
oben durch die Maſtſpitzen pfeift und die Waſſerfläche kaum
kräuſelt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der
Seegang des atlantiſchen Oceans ſich ununterbrochen an den
Baſaltwänden der Inſel bricht und der ſtete Donner der Bran-
dung an das Ohr ſchlägt. Das Landen bei der Stadt, wo
weder eine Mole noch ſonſtige Einrichtungen den Booten ein
ruhiges Anlegen geſtattet, iſt ſehr ſchwierig, weil die Fahrzeuge
durch den Seegang beſtändig 3 bis 4 Meter auf und nieder
wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen

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[138/0150] Werner einer kleinen Hochebene im Innern der Inſel; man ſieht es von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von der Beſatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die Geſundheitsbehörde wollte zuerſt überhaupt keine Communication mit dem Lande geſtatten, weil wir einen Todten gehabt und ich krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch unterſucht hatte, erklärte er mein Leiden als nicht anſteckend und ließ freien Ver- kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich blieb nach wie vor mir allein überlaſſen — meine Natur mußte ſich ſelbſt helfen. St. Helena iſt eine ſteil aus dem Ocean aufſteigende Felſeninſel, deren höchſte Spitze ſich bis zu 500 Meter erhebt und die eine Länge von 2½ bei einer Breite von 1½ Meilen hat. Ihre kleine Hauptſtadt Jamestown liegt in einem roman- tiſchen Thale an der Nordoſtſeite der Inſel, mithin leewärts und geſchützt vor dem Südoſtpaſſat. Die begrenzte Bucht vor dieſem Thale iſt auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küſte, welche den Eindruck einer gigantiſchen Felſenmauer macht, ſtürzt eben ſo ſenkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie ſie über Waſſer in die Lüfte ſtrebt. Man ankert etwa 1000 Schritte von der Stadt, aber bei der Durchſichtigkeit der Atmoſphäre und der Höhe der Felſen glaubt man kaum 100 Schritt ent- fernt zu ſein. Schiffe liegen völlig ſicher auf der Rhede; dann und wann kommt ein Windſtoß über die Berge, der jedoch nur oben durch die Maſtſpitzen pfeift und die Waſſerfläche kaum kräuſelt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der Seegang des atlantiſchen Oceans ſich ununterbrochen an den Baſaltwänden der Inſel bricht und der ſtete Donner der Bran- dung an das Ohr ſchlägt. Das Landen bei der Stadt, wo weder eine Mole noch ſonſtige Einrichtungen den Booten ein ruhiges Anlegen geſtattet, iſt ſehr ſchwierig, weil die Fahrzeuge durch den Seegang beſtändig 3 bis 4 Meter auf und nieder wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/150>, abgerufen am 21.11.2024.