kalt und stürmisch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag und brennender Durst mich verzehrte, war Niemand da, um mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufstehen, um mir ihn selbst aus den Wasserfässern an Deck zu holen, wenn auch der kalte Wind mich eisig durchschauerte und ich von überspritzendem Seewasser durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der mensch- liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er- probte ich damals an mir.
Auf der Heimreise von Ostindien nach Europa wird man mehr vom Winde begünstigt als auf dem Hinwege und hat im Durchschnitt besseres Wetter. Fast die ganze Strecke von der Sundastraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Passat in grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende Strömung unterstützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich 8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier starker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des- halb bald aufs neue den Südostpassat, um mit ihm bis zum Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem Nordost bis zu den Azoren zu gehen und dann die Westwinde zum Ansegeln des Kanals aufzusuchen. Nur einmal wurde die Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man schließlich fast die Namen der Tage vergaß, durch das Ansegeln von St. Helena unterbrochen, um Trinkwasser einzunehmen. Die Insel liegt auf dem directen Wege und wird deshalb von fast allen heimkehren- den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Gesundheits- zustand hatte sich in der letzten Zeit wieder so weit gebessert, daß ich bei dem schönen Wetter auf sein konnte, und so durfte ich mich wenigstens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons Gefängniß so berühmt gewordenen einsamen Felseninsel zer- streuen. Des Kaisers Gebeine waren im Jahre zuvor nach Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigesetzt zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu seinem Tode gewohnt, ein einstöckiges, schmuckloses Gebäude, liegt auf
Eine erſte Seereiſe
kalt und ſtürmiſch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag und brennender Durſt mich verzehrte, war Niemand da, um mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufſtehen, um mir ihn ſelbſt aus den Waſſerfäſſern an Deck zu holen, wenn auch der kalte Wind mich eiſig durchſchauerte und ich von überſpritzendem Seewaſſer durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der menſch- liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er- probte ich damals an mir.
Auf der Heimreiſe von Oſtindien nach Europa wird man mehr vom Winde begünſtigt als auf dem Hinwege und hat im Durchſchnitt beſſeres Wetter. Faſt die ganze Strecke von der Sundaſtraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Paſſat in grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende Strömung unterſtützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich 8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier ſtarker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des- halb bald aufs neue den Südoſtpaſſat, um mit ihm bis zum Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem Nordoſt bis zu den Azoren zu gehen und dann die Weſtwinde zum Anſegeln des Kanals aufzuſuchen. Nur einmal wurde die Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man ſchließlich faſt die Namen der Tage vergaß, durch das Anſegeln von St. Helena unterbrochen, um Trinkwaſſer einzunehmen. Die Inſel liegt auf dem directen Wege und wird deshalb von faſt allen heimkehren- den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Geſundheits- zuſtand hatte ſich in der letzten Zeit wieder ſo weit gebeſſert, daß ich bei dem ſchönen Wetter auf ſein konnte, und ſo durfte ich mich wenigſtens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons Gefängniß ſo berühmt gewordenen einſamen Felſeninſel zer- ſtreuen. Des Kaiſers Gebeine waren im Jahre zuvor nach Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigeſetzt zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu ſeinem Tode gewohnt, ein einſtöckiges, ſchmuckloſes Gebäude, liegt auf
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Eine erſte Seereiſe
kalt und ſtürmiſch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag
und brennender Durſt mich verzehrte, war Niemand da, um
mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufſtehen, um mir ihn
ſelbſt aus den Waſſerfäſſern an Deck zu holen, wenn auch der
kalte Wind mich eiſig durchſchauerte und ich von überſpritzendem
Seewaſſer durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der menſch-
liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er-
probte ich damals an mir.
Auf der Heimreiſe von Oſtindien nach Europa wird man
mehr vom Winde begünſtigt als auf dem Hinwege und hat im
Durchſchnitt beſſeres Wetter. Faſt die ganze Strecke von der
Sundaſtraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Paſſat in
grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende
Strömung unterſtützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich
8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier
ſtarker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des-
halb bald aufs neue den Südoſtpaſſat, um mit ihm bis zum
Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem
Nordoſt bis zu den Azoren zu gehen und dann die Weſtwinde
zum Anſegeln des Kanals aufzuſuchen. Nur einmal wurde die
Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man ſchließlich faſt die
Namen der Tage vergaß, durch das Anſegeln von St. Helena
unterbrochen, um Trinkwaſſer einzunehmen. Die Inſel liegt auf
dem directen Wege und wird deshalb von faſt allen heimkehren-
den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Geſundheits-
zuſtand hatte ſich in der letzten Zeit wieder ſo weit gebeſſert,
daß ich bei dem ſchönen Wetter auf ſein konnte, und ſo durfte
ich mich wenigſtens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons
Gefängniß ſo berühmt gewordenen einſamen Felſeninſel zer-
ſtreuen. Des Kaiſers Gebeine waren im Jahre zuvor nach
Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigeſetzt
zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu ſeinem
Tode gewohnt, ein einſtöckiges, ſchmuckloſes Gebäude, liegt auf
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/149>, abgerufen am 16.02.2025.
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