Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine erste Seereise

Der Vater war nicht zu Hause, und auf mein Anklopfen
öffnete mir die Mutter die Thür. "Wünschen Sie meinen
Mann zu sprechen?" fragte sie mich.

"Mutter!" schrie ich auf, indem es mir wie ein Stich
durch's Herz ging, "auch Du kennst mich nicht wieder?" und
dann sank ich ohnmächtig zusammen.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und
die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge-
richtet. Das letzte Jahr schwand wie ein düsterer Traum vor
den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der
Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen
blühten die Rosen der Gesundheit wieder auf meinen Wangen.
Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft
gesprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: "Willst
Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben?" Ich hatte
die Frage vorausgesehen; die Antwort stand seit jener ersten
Nacht an Bord fest. Sie lautete: "Ich gehe wieder zur See,
Vater."

Wenige Tage später reiste ich nach Hamburg, um bald
darauf mich an Bord des Vollschiffes "Malwine" einzuschiffen.
Die ferneren Jahre wurden mir nicht so schwer und mein Körper
litt nicht mehr unter den Einflüssen des tropischen Klimas. Ich
machte noch sechs Reisen nach den ostindischen Gewässern. Als
ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da
war eine deutsche Flotte erstanden. Ich trat als Officier in
dieselbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er-
füllung gefunden.



Eine erſte Seereiſe

Der Vater war nicht zu Hauſe, und auf mein Anklopfen
öffnete mir die Mutter die Thür. „Wünſchen Sie meinen
Mann zu ſprechen?“ fragte ſie mich.

„Mutter!“ ſchrie ich auf, indem es mir wie ein Stich
durch’s Herz ging, „auch Du kennſt mich nicht wieder?“ und
dann ſank ich ohnmächtig zuſammen.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und
die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge-
richtet. Das letzte Jahr ſchwand wie ein düſterer Traum vor
den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der
Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen
blühten die Roſen der Geſundheit wieder auf meinen Wangen.
Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft
geſprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: „Willſt
Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben?“ Ich hatte
die Frage vorausgeſehen; die Antwort ſtand ſeit jener erſten
Nacht an Bord feſt. Sie lautete: „Ich gehe wieder zur See,
Vater.“

Wenige Tage ſpäter reiſte ich nach Hamburg, um bald
darauf mich an Bord des Vollſchiffes „Malwine“ einzuſchiffen.
Die ferneren Jahre wurden mir nicht ſo ſchwer und mein Körper
litt nicht mehr unter den Einflüſſen des tropiſchen Klimas. Ich
machte noch ſechs Reiſen nach den oſtindiſchen Gewäſſern. Als
ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da
war eine deutſche Flotte erſtanden. Ich trat als Officier in
dieſelbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er-
füllung gefunden.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0155" n="143"/>
        <fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
        <p>Der Vater war nicht zu Hau&#x017F;e, und auf mein Anklopfen<lb/>
öffnete mir die Mutter die Thür. &#x201E;Wün&#x017F;chen Sie meinen<lb/>
Mann zu &#x017F;prechen?&#x201C; fragte &#x017F;ie mich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mutter!&#x201C; &#x017F;chrie ich auf, indem es mir wie ein Stich<lb/>
durch&#x2019;s Herz ging, &#x201E;auch Du kenn&#x017F;t mich nicht wieder?&#x201C; und<lb/>
dann &#x017F;ank ich ohnmächtig zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und<lb/>
die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge-<lb/>
richtet. Das letzte Jahr &#x017F;chwand wie ein dü&#x017F;terer Traum vor<lb/>
den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der<lb/>
Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen<lb/>
blühten die Ro&#x017F;en der Ge&#x017F;undheit wieder auf meinen Wangen.<lb/>
Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft<lb/>
ge&#x017F;prochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: &#x201E;Will&#x017F;t<lb/>
Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben?&#x201C; Ich hatte<lb/>
die Frage vorausge&#x017F;ehen; die Antwort &#x017F;tand &#x017F;eit jener er&#x017F;ten<lb/>
Nacht an Bord fe&#x017F;t. Sie lautete: &#x201E;Ich gehe wieder zur See,<lb/>
Vater.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wenige Tage &#x017F;päter rei&#x017F;te ich nach Hamburg, um bald<lb/>
darauf mich an Bord des Voll&#x017F;chiffes &#x201E;Malwine&#x201C; einzu&#x017F;chiffen.<lb/>
Die ferneren Jahre wurden mir nicht &#x017F;o &#x017F;chwer und mein Körper<lb/>
litt nicht mehr unter den Einflü&#x017F;&#x017F;en des tropi&#x017F;chen Klimas. Ich<lb/>
machte noch &#x017F;echs Rei&#x017F;en nach den o&#x017F;tindi&#x017F;chen Gewä&#x017F;&#x017F;ern. Als<lb/>
ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da<lb/>
war eine deut&#x017F;che Flotte er&#x017F;tanden. Ich trat als Officier in<lb/>
die&#x017F;elbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er-<lb/>
füllung gefunden.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0155] Eine erſte Seereiſe Der Vater war nicht zu Hauſe, und auf mein Anklopfen öffnete mir die Mutter die Thür. „Wünſchen Sie meinen Mann zu ſprechen?“ fragte ſie mich. „Mutter!“ ſchrie ich auf, indem es mir wie ein Stich durch’s Herz ging, „auch Du kennſt mich nicht wieder?“ und dann ſank ich ohnmächtig zuſammen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge- richtet. Das letzte Jahr ſchwand wie ein düſterer Traum vor den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen blühten die Roſen der Geſundheit wieder auf meinen Wangen. Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft geſprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: „Willſt Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben?“ Ich hatte die Frage vorausgeſehen; die Antwort ſtand ſeit jener erſten Nacht an Bord feſt. Sie lautete: „Ich gehe wieder zur See, Vater.“ Wenige Tage ſpäter reiſte ich nach Hamburg, um bald darauf mich an Bord des Vollſchiffes „Malwine“ einzuſchiffen. Die ferneren Jahre wurden mir nicht ſo ſchwer und mein Körper litt nicht mehr unter den Einflüſſen des tropiſchen Klimas. Ich machte noch ſechs Reiſen nach den oſtindiſchen Gewäſſern. Als ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da war eine deutſche Flotte erſtanden. Ich trat als Officier in dieſelbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er- füllung gefunden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/155
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/155>, abgerufen am 21.11.2024.