Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
mundete mir weniger; was ich davon verstand, war so weit
verschieden von dem, was ich bisher gewohnt gewesen.

Nachmittags suchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz;
mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein frischer, netter
Bursche in meinem Alter und stammte von der Insel Föhr, wie
fast die ganze Besatzung und der Kapitän selbst. In damaliger
Zeit stellten die Friesischen Inseln ein sehr großes Contingent
an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meisten Kapitäne
waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und
Bekannte heran. Mein Bettgenosse hieß Heinrich Petersen, der
Kapitän Pay Andersen, der Bootsmann Peter Hinrichsen, und
außer dem Obersteuermann und mir endeten alle Namen an
Bord auf sen. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereise
gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf seiner
Heimathsinsel von Jugend auf mit dem Wasser und mit Schiffen
vertraut gewesen und besaß deshalb schon eine Menge nautischer
Kenntnisse, um die ich ihn beneidete.

Nach Feierabend gingen die meisten Leute an Land auf
Urlaub. Ich blieb zurück; theilweise war ich nicht in der
Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzusuchen, theils
hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem
Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras gestopfte
Matratze und das Kopfkissen zwar etwas hart, die ungewohnte
wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte
Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf
bald und fest, das Vorrecht der Jugend.

Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen
Träumen geweckt und unsanft aufgerüttelt. Ich bekam die
Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck sein. Ein
Schiff ist nie ohne Wache; in See besteht dieselbe aus der
Hälfte der Mannschaft, im Hafen geht ein Mann Wache und
wird stündlich abgelöst, während die Seewache vier Stunden
dauert.


Eine erſte Seereiſe
mundete mir weniger; was ich davon verſtand, war ſo weit
verſchieden von dem, was ich bisher gewohnt geweſen.

Nachmittags ſuchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz;
mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein friſcher, netter
Burſche in meinem Alter und ſtammte von der Inſel Föhr, wie
faſt die ganze Beſatzung und der Kapitän ſelbſt. In damaliger
Zeit ſtellten die Frieſiſchen Inſeln ein ſehr großes Contingent
an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meiſten Kapitäne
waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und
Bekannte heran. Mein Bettgenoſſe hieß Heinrich Peterſen, der
Kapitän Pay Anderſen, der Bootsmann Peter Hinrichſen, und
außer dem Oberſteuermann und mir endeten alle Namen an
Bord auf ſen. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereiſe
gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf ſeiner
Heimathsinſel von Jugend auf mit dem Waſſer und mit Schiffen
vertraut geweſen und beſaß deshalb ſchon eine Menge nautiſcher
Kenntniſſe, um die ich ihn beneidete.

Nach Feierabend gingen die meiſten Leute an Land auf
Urlaub. Ich blieb zurück; theilweiſe war ich nicht in der
Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzuſuchen, theils
hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem
Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras geſtopfte
Matratze und das Kopfkiſſen zwar etwas hart, die ungewohnte
wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte
Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf
bald und feſt, das Vorrecht der Jugend.

Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen
Träumen geweckt und unſanft aufgerüttelt. Ich bekam die
Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck ſein. Ein
Schiff iſt nie ohne Wache; in See beſteht dieſelbe aus der
Hälfte der Mannſchaft, im Hafen geht ein Mann Wache und
wird ſtündlich abgelöſt, während die Seewache vier Stunden
dauert.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="9"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
mundete mir weniger; was ich davon ver&#x017F;tand, war &#x017F;o weit<lb/>
ver&#x017F;chieden von dem, was ich bisher gewohnt gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Nachmittags &#x017F;uchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz;<lb/>
mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein fri&#x017F;cher, netter<lb/>
Bur&#x017F;che in meinem Alter und &#x017F;tammte von der In&#x017F;el Föhr, wie<lb/>
fa&#x017F;t die ganze Be&#x017F;atzung und der Kapitän &#x017F;elb&#x017F;t. In damaliger<lb/>
Zeit &#x017F;tellten die Frie&#x017F;i&#x017F;chen In&#x017F;eln ein &#x017F;ehr großes Contingent<lb/>
an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die mei&#x017F;ten Kapitäne<lb/>
waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und<lb/>
Bekannte heran. Mein Bettgeno&#x017F;&#x017F;e hieß Heinrich Peter&#x017F;en, der<lb/>
Kapitän Pay Ander&#x017F;en, der Bootsmann Peter Hinrich&#x017F;en, und<lb/>
außer dem Ober&#x017F;teuermann und mir endeten alle Namen an<lb/>
Bord auf <hi rendition="#g">&#x017F;en</hi>. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seerei&#x017F;e<lb/>
gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf &#x017F;einer<lb/>
Heimathsin&#x017F;el von Jugend auf mit dem Wa&#x017F;&#x017F;er und mit Schiffen<lb/>
vertraut gewe&#x017F;en und be&#x017F;aß deshalb &#x017F;chon eine Menge nauti&#x017F;cher<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e, um die ich ihn beneidete.</p><lb/>
        <p>Nach Feierabend gingen die mei&#x017F;ten Leute an Land auf<lb/>
Urlaub. Ich blieb zurück; theilwei&#x017F;e war ich nicht in der<lb/>
Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzu&#x017F;uchen, theils<lb/>
hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem<lb/>
Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras ge&#x017F;topfte<lb/>
Matratze und das Kopfki&#x017F;&#x017F;en zwar etwas hart, die ungewohnte<lb/>
wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte<lb/>
Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf<lb/>
bald und fe&#x017F;t, das Vorrecht der Jugend.</p><lb/>
        <p>Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen<lb/>
Träumen geweckt und un&#x017F;anft aufgerüttelt. Ich bekam die<lb/>
Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck &#x017F;ein. Ein<lb/>
Schiff i&#x017F;t nie ohne Wache; in See be&#x017F;teht die&#x017F;elbe aus der<lb/>
Hälfte der Mann&#x017F;chaft, im Hafen geht ein Mann Wache und<lb/>
wird &#x017F;tündlich abgelö&#x017F;t, während die Seewache vier Stunden<lb/>
dauert.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0021] Eine erſte Seereiſe mundete mir weniger; was ich davon verſtand, war ſo weit verſchieden von dem, was ich bisher gewohnt geweſen. Nachmittags ſuchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz; mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein friſcher, netter Burſche in meinem Alter und ſtammte von der Inſel Föhr, wie faſt die ganze Beſatzung und der Kapitän ſelbſt. In damaliger Zeit ſtellten die Frieſiſchen Inſeln ein ſehr großes Contingent an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meiſten Kapitäne waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und Bekannte heran. Mein Bettgenoſſe hieß Heinrich Peterſen, der Kapitän Pay Anderſen, der Bootsmann Peter Hinrichſen, und außer dem Oberſteuermann und mir endeten alle Namen an Bord auf ſen. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereiſe gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf ſeiner Heimathsinſel von Jugend auf mit dem Waſſer und mit Schiffen vertraut geweſen und beſaß deshalb ſchon eine Menge nautiſcher Kenntniſſe, um die ich ihn beneidete. Nach Feierabend gingen die meiſten Leute an Land auf Urlaub. Ich blieb zurück; theilweiſe war ich nicht in der Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzuſuchen, theils hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras geſtopfte Matratze und das Kopfkiſſen zwar etwas hart, die ungewohnte wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf bald und feſt, das Vorrecht der Jugend. Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen Träumen geweckt und unſanft aufgerüttelt. Ich bekam die Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck ſein. Ein Schiff iſt nie ohne Wache; in See beſteht dieſelbe aus der Hälfte der Mannſchaft, im Hafen geht ein Mann Wache und wird ſtündlich abgelöſt, während die Seewache vier Stunden dauert.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/21
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/21>, abgerufen am 28.04.2024.