Es war eine schöne Herbstnacht, der Mond schien hell und klar und goß sein Licht auf die Thürme und Dächer der alten Hansestadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über- blickte. Der dunkle Elbstrom glitt schweigend dahin und am Horizont zeichnete sich der Mastenwald der im Hafen liegenden Schiffe. Ueberall herrschte Ruhe und Schweigen; ich war mit mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verflossene Tag an meinem Geiste vorüberzog und die empfangenen Ein- drücke sich wiederspiegelten. Ich kann nicht sagen, daß ich irgend wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und Marryats Romane hatten mir so ganz andere Anschauungen vom Schiffsleben beigebracht, wie ich sie heute verwirklicht gesehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matrosen hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr- lich scheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich "Hast Du noch Lust, Seemann zu werden?" "Jetzt erst recht", war meine Antwort gewesen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange- zogen und nicht erschreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage- halsigen Kletterns in der Bemastung, hatte ich jetzt den ganzen Tag am Lande alte zerbrochene Nägel sammeln müssen. Vom Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte mir gesagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe, aber schroff und abstoßend gegen seine Untergebenen und des- halb bei ihnen nicht beliebt sei. Sein Gesichtsausdruck war ernst, ja finster und ich forschte darin vergebens nach Wohl- wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages fast keine Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barsch gegen mich gewesen. So hatten sich meine Vorgesetzten gezeigt; der Blick auf die Mannschaften war nicht erfreulicher. Aus gebil- deter Umgebung, aus dem Kreise eines glücklichen Familienlebens war ich unter Menschen geschleudert und auf Jahre mit ihnen auf einen beschränkten Raum zusammengefesselt, die, das
Werner
Es war eine ſchöne Herbſtnacht, der Mond ſchien hell und klar und goß ſein Licht auf die Thürme und Dächer der alten Hanſeſtadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über- blickte. Der dunkle Elbſtrom glitt ſchweigend dahin und am Horizont zeichnete ſich der Maſtenwald der im Hafen liegenden Schiffe. Ueberall herrſchte Ruhe und Schweigen; ich war mit mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verfloſſene Tag an meinem Geiſte vorüberzog und die empfangenen Ein- drücke ſich wiederſpiegelten. Ich kann nicht ſagen, daß ich irgend wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und Marryats Romane hatten mir ſo ganz andere Anſchauungen vom Schiffsleben beigebracht, wie ich ſie heute verwirklicht geſehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matroſen hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr- lich ſcheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich „Haſt Du noch Luſt, Seemann zu werden?“ „Jetzt erſt recht“, war meine Antwort geweſen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange- zogen und nicht erſchreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage- halſigen Kletterns in der Bemaſtung, hatte ich jetzt den ganzen Tag am Lande alte zerbrochene Nägel ſammeln müſſen. Vom Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte mir geſagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe, aber ſchroff und abſtoßend gegen ſeine Untergebenen und des- halb bei ihnen nicht beliebt ſei. Sein Geſichtsausdruck war ernſt, ja finſter und ich forſchte darin vergebens nach Wohl- wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages faſt keine Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barſch gegen mich geweſen. So hatten ſich meine Vorgeſetzten gezeigt; der Blick auf die Mannſchaften war nicht erfreulicher. Aus gebil- deter Umgebung, aus dem Kreiſe eines glücklichen Familienlebens war ich unter Menſchen geſchleudert und auf Jahre mit ihnen auf einen beſchränkten Raum zuſammengefeſſelt, die, das
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Werner
Es war eine ſchöne Herbſtnacht, der Mond ſchien hell und
klar und goß ſein Licht auf die Thürme und Dächer der alten
Hanſeſtadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über-
blickte. Der dunkle Elbſtrom glitt ſchweigend dahin und am
Horizont zeichnete ſich der Maſtenwald der im Hafen liegenden
Schiffe. Ueberall herrſchte Ruhe und Schweigen; ich war mit
mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verfloſſene
Tag an meinem Geiſte vorüberzog und die empfangenen Ein-
drücke ſich wiederſpiegelten. Ich kann nicht ſagen, daß ich irgend
wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und
Marryats Romane hatten mir ſo ganz andere Anſchauungen
vom Schiffsleben beigebracht, wie ich ſie heute verwirklicht
geſehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch
den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matroſen
hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr-
lich ſcheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich „Haſt Du
noch Luſt, Seemann zu werden?“ „Jetzt erſt recht“, war meine
Antwort geweſen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange-
zogen und nicht erſchreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage-
halſigen Kletterns in der Bemaſtung, hatte ich jetzt den ganzen
Tag am Lande alte zerbrochene Nägel ſammeln müſſen. Vom
Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte
mir geſagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe,
aber ſchroff und abſtoßend gegen ſeine Untergebenen und des-
halb bei ihnen nicht beliebt ſei. Sein Geſichtsausdruck war
ernſt, ja finſter und ich forſchte darin vergebens nach Wohl-
wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages faſt keine
Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barſch gegen
mich geweſen. So hatten ſich meine Vorgeſetzten gezeigt; der
Blick auf die Mannſchaften war nicht erfreulicher. Aus gebil-
deter Umgebung, aus dem Kreiſe eines glücklichen Familienlebens
war ich unter Menſchen geſchleudert und auf Jahre mit ihnen
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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