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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Diese erste Probezeit in Hamburg wurde mir sehr schwer; aber
getreu meinem gefaßten Entschlusse, lernte ich arbeiten, meine
Kräfte anwenden und meine Aufmerksamkeit auf die practische
Seite des Lebens richten.

Der Tag der Abreise war gekommen und der Lootse er-
schien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von
den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen
fest gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind
war ungünstig; das enge und gewundene Fahrwasser gestattete
kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer
gab, die jetzt bei solchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit
abnehmen, so trieben wir mit dem Strom, aber gegen den
Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache;
bisweilen konnten wir eine kleine Strecke segeln, doch die Ebbe
brachte uns nur bis zur Rhede von Glückstadt, dann trat die
Fluth ein und wir mußten ankern.

Ich hatte inzwischen Gelegenheit gehabt, meine erste Lection
in der Seemannschaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes
in einem schmalen Fahrwasser erfordert sehr viel nautisches Ge-
schick; wer es versteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe
manövriren. Die Dampfschifffahrt hat dies Treiben meist auf-
hören lassen, aber im Interesse seemännischer Tüchtigkeit ist es
sehr zu bedauern, denn es ist damit eine vortreffliche und fast
unersetzliche Schule für das Manövriren mit Segelschiffen ver-
loren gegangen. Unser Lootse, ein Mann in den Fünfzigern
und der Typus eines wettergestählten Seemanns, verstand die
Sache aus dem Grunde. Mit stiller Bewunderung sah ich, wie
er die "Alma" durch die schwierigsten Passagen lenkte und
namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen
er seine Befehle ertheilte. Mein Posten war in seiner Nähe.
Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Interesse
ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Ursache und
Wirkung klar zu machen suchte, denn zu meiner großen, wenn

Werner
Dieſe erſte Probezeit in Hamburg wurde mir ſehr ſchwer; aber
getreu meinem gefaßten Entſchluſſe, lernte ich arbeiten, meine
Kräfte anwenden und meine Aufmerkſamkeit auf die practiſche
Seite des Lebens richten.

Der Tag der Abreiſe war gekommen und der Lootſe er-
ſchien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von
den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen
feſt gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind
war ungünſtig; das enge und gewundene Fahrwaſſer geſtattete
kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer
gab, die jetzt bei ſolchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit
abnehmen, ſo trieben wir mit dem Strom, aber gegen den
Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache;
bisweilen konnten wir eine kleine Strecke ſegeln, doch die Ebbe
brachte uns nur bis zur Rhede von Glückſtadt, dann trat die
Fluth ein und wir mußten ankern.

Ich hatte inzwiſchen Gelegenheit gehabt, meine erſte Lection
in der Seemannſchaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes
in einem ſchmalen Fahrwaſſer erfordert ſehr viel nautiſches Ge-
ſchick; wer es verſteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe
manövriren. Die Dampfſchifffahrt hat dies Treiben meiſt auf-
hören laſſen, aber im Intereſſe ſeemänniſcher Tüchtigkeit iſt es
ſehr zu bedauern, denn es iſt damit eine vortreffliche und faſt
unerſetzliche Schule für das Manövriren mit Segelſchiffen ver-
loren gegangen. Unſer Lootſe, ein Mann in den Fünfzigern
und der Typus eines wettergeſtählten Seemanns, verſtand die
Sache aus dem Grunde. Mit ſtiller Bewunderung ſah ich, wie
er die „Alma“ durch die ſchwierigſten Paſſagen lenkte und
namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen
er ſeine Befehle ertheilte. Mein Poſten war in ſeiner Nähe.
Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Intereſſe
ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Urſache und
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[12/0024] Werner Dieſe erſte Probezeit in Hamburg wurde mir ſehr ſchwer; aber getreu meinem gefaßten Entſchluſſe, lernte ich arbeiten, meine Kräfte anwenden und meine Aufmerkſamkeit auf die practiſche Seite des Lebens richten. Der Tag der Abreiſe war gekommen und der Lootſe er- ſchien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen feſt gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind war ungünſtig; das enge und gewundene Fahrwaſſer geſtattete kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer gab, die jetzt bei ſolchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit abnehmen, ſo trieben wir mit dem Strom, aber gegen den Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache; bisweilen konnten wir eine kleine Strecke ſegeln, doch die Ebbe brachte uns nur bis zur Rhede von Glückſtadt, dann trat die Fluth ein und wir mußten ankern. Ich hatte inzwiſchen Gelegenheit gehabt, meine erſte Lection in der Seemannſchaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes in einem ſchmalen Fahrwaſſer erfordert ſehr viel nautiſches Ge- ſchick; wer es verſteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe manövriren. Die Dampfſchifffahrt hat dies Treiben meiſt auf- hören laſſen, aber im Intereſſe ſeemänniſcher Tüchtigkeit iſt es ſehr zu bedauern, denn es iſt damit eine vortreffliche und faſt unerſetzliche Schule für das Manövriren mit Segelſchiffen ver- loren gegangen. Unſer Lootſe, ein Mann in den Fünfzigern und der Typus eines wettergeſtählten Seemanns, verſtand die Sache aus dem Grunde. Mit ſtiller Bewunderung ſah ich, wie er die „Alma“ durch die ſchwierigſten Paſſagen lenkte und namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen er ſeine Befehle ertheilte. Mein Poſten war in ſeiner Nähe. Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Intereſſe ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Urſache und Wirkung klar zu machen ſuchte, denn zu meiner großen, wenn

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/24>, abgerufen am 21.11.2024.