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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
aus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles-
wig-Holsteinern und Hannoveranern, die sich ungemein leicht lenken
ließen, und selten wol haben Kriegsschiffe ein so gutes Personal
aufzuweisen, wie es die deutsche Flotte damals besaß. Nur ein
bedenkliches Element, das wir uns aufgehalst, befand sich dar-
unter, doch gelang es schon binnen Kurzem, es wieder auszu-
merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene englische Matro-
sen, die früher auf Kriegsschiffen gedient hatten und militärische
Lehrer unserer Leute werden sollten. Sehr bald zeigte sich je-
doch, daß sie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer-
dem absolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutsche
Branntwein war für sie ein schlimmer Verführer, und um ihm
wirksam entgegenzutreten, hätten wir statt über die beschränkten
Strafmittel unserer humanen Disciplinarverordnung über dis-
cretionäre Anwendung der neunschwänzigen Katze verfügen
müssen. Bestialische Trunkenheit, Gehorsamsverweigerung,
blutige Raufereien unter sich und mit unsern Leuten, die je-
doch stets von den Engländern ausgingen, waren an der
Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, sie auf das
schleunigste wieder los zu werden. Glücklicher Weise waren sie
nicht auf bestimmte längere Zeit engagirt, und wir schickten sie
bis auf zwei oder drei gute Matrosen, innerhalb weniger Monate
wieder fort.

Bei dieser Gelegenheit trat der Characterunterschied zwi-
schen englischen und deutschen Matrosen klar zu Tage, den
ich später stets von neuem beobachtet habe und der die Wag-
schale sehr zu Gunsten der letzteren neigt. Der Engländer
gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutschland
für den tüchtigsten Seemann der Welt. Es liegt mir fern,
ihm seine fachliche Tüchtigkeit abzusprechen, aber der Deutsche
steht ihm darin wenigstens nicht nach und ist ihm in morali-
scher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng-
lische Matrose ist innerlich viel roher und brutaler als der

Ernſtes und Heiteres
aus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles-
wig-Holſteinern und Hannoveranern, die ſich ungemein leicht lenken
ließen, und ſelten wol haben Kriegsſchiffe ein ſo gutes Perſonal
aufzuweiſen, wie es die deutſche Flotte damals beſaß. Nur ein
bedenkliches Element, das wir uns aufgehalſt, befand ſich dar-
unter, doch gelang es ſchon binnen Kurzem, es wieder auszu-
merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene engliſche Matro-
ſen, die früher auf Kriegsſchiffen gedient hatten und militäriſche
Lehrer unſerer Leute werden ſollten. Sehr bald zeigte ſich je-
doch, daß ſie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer-
dem abſolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutſche
Branntwein war für ſie ein ſchlimmer Verführer, und um ihm
wirkſam entgegenzutreten, hätten wir ſtatt über die beſchränkten
Strafmittel unſerer humanen Disciplinarverordnung über dis-
cretionäre Anwendung der neunſchwänzigen Katze verfügen
müſſen. Beſtialiſche Trunkenheit, Gehorſamsverweigerung,
blutige Raufereien unter ſich und mit unſern Leuten, die je-
doch ſtets von den Engländern ausgingen, waren an der
Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, ſie auf das
ſchleunigſte wieder los zu werden. Glücklicher Weiſe waren ſie
nicht auf beſtimmte längere Zeit engagirt, und wir ſchickten ſie
bis auf zwei oder drei gute Matroſen, innerhalb weniger Monate
wieder fort.

Bei dieſer Gelegenheit trat der Characterunterſchied zwi-
ſchen engliſchen und deutſchen Matroſen klar zu Tage, den
ich ſpäter ſtets von neuem beobachtet habe und der die Wag-
ſchale ſehr zu Gunſten der letzteren neigt. Der Engländer
gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutſchland
für den tüchtigſten Seemann der Welt. Es liegt mir fern,
ihm ſeine fachliche Tüchtigkeit abzuſprechen, aber der Deutſche
ſteht ihm darin wenigſtens nicht nach und iſt ihm in morali-
ſcher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng-
liſche Matroſe iſt innerlich viel roher und brutaler als der

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[231/0243] Ernſtes und Heiteres aus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles- wig-Holſteinern und Hannoveranern, die ſich ungemein leicht lenken ließen, und ſelten wol haben Kriegsſchiffe ein ſo gutes Perſonal aufzuweiſen, wie es die deutſche Flotte damals beſaß. Nur ein bedenkliches Element, das wir uns aufgehalſt, befand ſich dar- unter, doch gelang es ſchon binnen Kurzem, es wieder auszu- merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene engliſche Matro- ſen, die früher auf Kriegsſchiffen gedient hatten und militäriſche Lehrer unſerer Leute werden ſollten. Sehr bald zeigte ſich je- doch, daß ſie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer- dem abſolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutſche Branntwein war für ſie ein ſchlimmer Verführer, und um ihm wirkſam entgegenzutreten, hätten wir ſtatt über die beſchränkten Strafmittel unſerer humanen Disciplinarverordnung über dis- cretionäre Anwendung der neunſchwänzigen Katze verfügen müſſen. Beſtialiſche Trunkenheit, Gehorſamsverweigerung, blutige Raufereien unter ſich und mit unſern Leuten, die je- doch ſtets von den Engländern ausgingen, waren an der Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, ſie auf das ſchleunigſte wieder los zu werden. Glücklicher Weiſe waren ſie nicht auf beſtimmte längere Zeit engagirt, und wir ſchickten ſie bis auf zwei oder drei gute Matroſen, innerhalb weniger Monate wieder fort. Bei dieſer Gelegenheit trat der Characterunterſchied zwi- ſchen engliſchen und deutſchen Matroſen klar zu Tage, den ich ſpäter ſtets von neuem beobachtet habe und der die Wag- ſchale ſehr zu Gunſten der letzteren neigt. Der Engländer gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutſchland für den tüchtigſten Seemann der Welt. Es liegt mir fern, ihm ſeine fachliche Tüchtigkeit abzuſprechen, aber der Deutſche ſteht ihm darin wenigſtens nicht nach und iſt ihm in morali- ſcher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng- liſche Matroſe iſt innerlich viel roher und brutaler als der

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/243>, abgerufen am 13.05.2024.