ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander stimmen.
In einem Regimente oder Bataillon kommen solche Ver- hältnisse weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienstes ist jeder Landofficier sein eigener Herr. Er hat seine bequeme Wohnung, seine Familie, Gesellschaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüsse, die ihm Erholung von den Anstrengungen des Dienstes bieten, durch die er die em- pfangenen unangenehmen Eindrücke von sich abstreifen und sich die Elasticität seines Geistes bewahren kann. Wie viel un- günstiger ist dagegen der Seeofficier gestellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathisch sind, auf den- selben kleinen Raum beschränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er ist gezwungen, sie fast immer zu sehen, er muß mit ihnen an demselben Tische speisen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerstreuung zieht seine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf -- Himmel, Wasser, die Bordwände und der Dienst sind seine Gesellschafter und ein- zigen Begleiter. So ist es denn natürlich, daß seine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Mensch in normalen Verhältnissen leicht und gleich- gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlassen.
Dann ist es die Kammer, in deren Einsamkeit er Zuflucht vor sich selbst sucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen- den Kummers macht und die ihm Trost spendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt ist und seinen Gefühlen freien Lauf lassen -- ja dann ist der kleine enge Raum ein Schatz, dessen Werth nicht hoch genug veranschlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergessen und träumen darf, träumen von der Ver- gangenheit, deren schöne Erinnerungen milden Balsam auf sein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im
Ernſtes und Heiteres
ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander ſtimmen.
In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver- hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung, ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em- pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un- günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den- ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer, die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein- zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich- gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.
Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen- den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver- gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0265"n="253"/><fwplace="top"type="header">Ernſtes und Heiteres</fw><lb/>
ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander<lb/>ſtimmen.</p><lb/><p>In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver-<lb/>
hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern<lb/>
aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder<lb/>
Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung,<lb/>ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in<lb/>
Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von<lb/>
den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em-<lb/>
pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich<lb/>
die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un-<lb/>
günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird<lb/>
er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den-<lb/>ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen,<lb/>
er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an<lb/>
demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit<lb/>
ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab,<lb/>
kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer,<lb/>
die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein-<lb/>
zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung<lb/>
von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten,<lb/>
über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich-<lb/>
gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.</p><lb/><p>Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht<lb/>
vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen-<lb/>
den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann<lb/>
er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt<lb/>
und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der<lb/>
kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug<lb/>
veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige<lb/>
Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver-<lb/>
gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein<lb/>
wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[253/0265]
Ernſtes und Heiteres
ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander
ſtimmen.
In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver-
hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern
aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder
Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung,
ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in
Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von
den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em-
pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich
die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un-
günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird
er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den-
ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen,
er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an
demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit
ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab,
kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer,
die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein-
zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung
von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten,
über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich-
gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.
Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht
vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen-
den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann
er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt
und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der
kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug
veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige
Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver-
gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein
wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/265>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.