Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
Befehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum
hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho!
der Matrosen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft-
anstrengung wanderte die Kette durch die Klüsenöffnung im
Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus
dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von
seinen Fesseln auf den Fluthen schwamm. Sofort folgte es
dem Drucke der vorderen gegen den Wind gestellten Segel, sie
wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den
andern Weg gebraßten Hintersegel füllten. Dann war die Auf-
gabe der Vorsegel gelöst; sie wurden mit den hinteren parallel
gestellt; die bis dahin noch unter den Raaen zusammengefalteten
Untersegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders
auf seinen Curs gebracht und glitt vor der strammen Brise
und in seinem Laufe durch die Ebbe beschleunigt pfeilschnell
auf dem Strome dahin.

Von den übrigen Mitseglern war bereits die Hälfte unter-
wegs, aber unsere "Alma" zeigte sich flink. Ihr Bug, scharf
wie ein Messer, durchschnitt fast geräuschlos das Wasser; Hand
über Hand lief sie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem
andern hinter sich. "Platz für den Ostindienfahrer" schien sie
zu sagen und ihre Flagge flatterte lustig im Winde.

Der Seemann identificirt sich mit seinem Schiffe; er em-
pfindet dessen Vorzüge als seine eigenen und triumphirt, wenn
er einen Schnellsegler unter den Füßen hat, so wenig es sein
Verdienst ist. Das finstere Gesicht des Kapitäns hellte sich auf;
die Leute scherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen
hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem
Herzen bereits soviel Seemann geworden, um den Triumph
mit zu empfinden.

Der Wind frischte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine
halbe Meile, in der Stunde und passirten Mittags Cuxhafen.
Das niedrige rechte Elbufer war bereits unsern Blicken ent-

Eine erſte Seereiſe
Befehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum
hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho!
der Matroſen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft-
anſtrengung wanderte die Kette durch die Klüſenöffnung im
Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus
dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von
ſeinen Feſſeln auf den Fluthen ſchwamm. Sofort folgte es
dem Drucke der vorderen gegen den Wind geſtellten Segel, ſie
wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den
andern Weg gebraßten Hinterſegel füllten. Dann war die Auf-
gabe der Vorſegel gelöſt; ſie wurden mit den hinteren parallel
geſtellt; die bis dahin noch unter den Raaen zuſammengefalteten
Unterſegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders
auf ſeinen Curs gebracht und glitt vor der ſtrammen Briſe
und in ſeinem Laufe durch die Ebbe beſchleunigt pfeilſchnell
auf dem Strome dahin.

Von den übrigen Mitſeglern war bereits die Hälfte unter-
wegs, aber unſere „Alma“ zeigte ſich flink. Ihr Bug, ſcharf
wie ein Meſſer, durchſchnitt faſt geräuſchlos das Waſſer; Hand
über Hand lief ſie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem
andern hinter ſich. „Platz für den Oſtindienfahrer“ ſchien ſie
zu ſagen und ihre Flagge flatterte luſtig im Winde.

Der Seemann identificirt ſich mit ſeinem Schiffe; er em-
pfindet deſſen Vorzüge als ſeine eigenen und triumphirt, wenn
er einen Schnellſegler unter den Füßen hat, ſo wenig es ſein
Verdienſt iſt. Das finſtere Geſicht des Kapitäns hellte ſich auf;
die Leute ſcherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen
hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem
Herzen bereits ſoviel Seemann geworden, um den Triumph
mit zu empfinden.

Der Wind friſchte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine
halbe Meile, in der Stunde und paſſirten Mittags Cuxhafen.
Das niedrige rechte Elbufer war bereits unſern Blicken ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="15"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
Befehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum<lb/>
hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho!<lb/>
der Matro&#x017F;en. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft-<lb/>
an&#x017F;trengung wanderte die Kette durch die Klü&#x017F;enöffnung im<lb/>
Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus<lb/>
dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von<lb/>
&#x017F;einen Fe&#x017F;&#x017F;eln auf den Fluthen &#x017F;chwamm. Sofort folgte es<lb/>
dem Drucke der vorderen gegen den Wind ge&#x017F;tellten Segel, &#x017F;ie<lb/>
wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den<lb/>
andern Weg gebraßten Hinter&#x017F;egel füllten. Dann war die Auf-<lb/>
gabe der Vor&#x017F;egel gelö&#x017F;t; &#x017F;ie wurden mit den hinteren parallel<lb/>
ge&#x017F;tellt; die bis dahin noch unter den Raaen zu&#x017F;ammengefalteten<lb/>
Unter&#x017F;egel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders<lb/>
auf &#x017F;einen Curs gebracht und glitt vor der &#x017F;trammen Bri&#x017F;e<lb/>
und in &#x017F;einem Laufe durch die Ebbe be&#x017F;chleunigt pfeil&#x017F;chnell<lb/>
auf dem Strome dahin.</p><lb/>
        <p>Von den übrigen Mit&#x017F;eglern war bereits die Hälfte unter-<lb/>
wegs, aber un&#x017F;ere &#x201E;Alma&#x201C; zeigte &#x017F;ich flink. Ihr Bug, &#x017F;charf<lb/>
wie ein Me&#x017F;&#x017F;er, durch&#x017F;chnitt fa&#x017F;t geräu&#x017F;chlos das Wa&#x017F;&#x017F;er; Hand<lb/>
über Hand lief &#x017F;ie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem<lb/>
andern hinter &#x017F;ich. &#x201E;Platz für den O&#x017F;tindienfahrer&#x201C; &#x017F;chien &#x017F;ie<lb/>
zu &#x017F;agen und ihre Flagge flatterte lu&#x017F;tig im Winde.</p><lb/>
        <p>Der Seemann identificirt &#x017F;ich mit &#x017F;einem Schiffe; er em-<lb/>
pfindet de&#x017F;&#x017F;en Vorzüge als &#x017F;eine eigenen und triumphirt, wenn<lb/>
er einen Schnell&#x017F;egler unter den Füßen hat, &#x017F;o wenig es &#x017F;ein<lb/>
Verdien&#x017F;t i&#x017F;t. Das fin&#x017F;tere Ge&#x017F;icht des Kapitäns hellte &#x017F;ich auf;<lb/>
die Leute &#x017F;cherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen<lb/>
hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem<lb/>
Herzen bereits &#x017F;oviel Seemann geworden, um den Triumph<lb/>
mit zu empfinden.</p><lb/>
        <p>Der Wind fri&#x017F;chte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine<lb/>
halbe Meile, in der Stunde und pa&#x017F;&#x017F;irten Mittags Cuxhafen.<lb/>
Das niedrige rechte Elbufer war bereits un&#x017F;ern Blicken ent-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0027] Eine erſte Seereiſe Befehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho! der Matroſen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft- anſtrengung wanderte die Kette durch die Klüſenöffnung im Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von ſeinen Feſſeln auf den Fluthen ſchwamm. Sofort folgte es dem Drucke der vorderen gegen den Wind geſtellten Segel, ſie wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den andern Weg gebraßten Hinterſegel füllten. Dann war die Auf- gabe der Vorſegel gelöſt; ſie wurden mit den hinteren parallel geſtellt; die bis dahin noch unter den Raaen zuſammengefalteten Unterſegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders auf ſeinen Curs gebracht und glitt vor der ſtrammen Briſe und in ſeinem Laufe durch die Ebbe beſchleunigt pfeilſchnell auf dem Strome dahin. Von den übrigen Mitſeglern war bereits die Hälfte unter- wegs, aber unſere „Alma“ zeigte ſich flink. Ihr Bug, ſcharf wie ein Meſſer, durchſchnitt faſt geräuſchlos das Waſſer; Hand über Hand lief ſie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem andern hinter ſich. „Platz für den Oſtindienfahrer“ ſchien ſie zu ſagen und ihre Flagge flatterte luſtig im Winde. Der Seemann identificirt ſich mit ſeinem Schiffe; er em- pfindet deſſen Vorzüge als ſeine eigenen und triumphirt, wenn er einen Schnellſegler unter den Füßen hat, ſo wenig es ſein Verdienſt iſt. Das finſtere Geſicht des Kapitäns hellte ſich auf; die Leute ſcherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem Herzen bereits ſoviel Seemann geworden, um den Triumph mit zu empfinden. Der Wind friſchte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine halbe Meile, in der Stunde und paſſirten Mittags Cuxhafen. Das niedrige rechte Elbufer war bereits unſern Blicken ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/27
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/27>, abgerufen am 24.11.2024.