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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
schwunden, auch das linke begann sich allmälig unter den
Horizont zu senken und der Thurm der Elbinsel Neuwerk er-
hob sich als letzter Wachtposten des Festlandes aus der ihn
umgebenden Wasserfläche. Wir schossen an dem innern Feuer-
schiffe vorbei, das am Tage durch seine rothe Farbe und durch
Kugeln auf den Spitzen der Masten, sowie Nachts durch weit
leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam
die in der Elbmündung verankerte Lootsen-Galliote in Sicht
und wir hielten auf sie zu. Die Lootsenflagge wurde bei uns
im Vortop geheißt und auf dies Signal stieß ein Boot von der
Galliote ab, um den Lootsen abzuholen. Die Untersegel wurden
fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das
Schiff verlor seine Fahrt und trieb langsam auf das wartende
Boot zu. Der Lootse stand mittschiffs an der Fallreepstreppe
und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in
die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte
viele Tage daran geschrieben, aber sein Inhalt verrieth nichts
von dem, was ich fühlte und fest in meiner Brust verschlossen
hielt; die Meinigen sollten glauben, daß ich in meinem Berufe
glücklich und zufrieden sei. Ihre Abschiedsbriefe waren mit
thränendem Auge oft von mir gelesen und die mir darin ge-
sandten Segenswünsche hatten meinen herben Schmerz gelindert;
für lange, lange Zeit sollten sie mein einziger Schatz und mein
Trost in der Einsamkeit sein.

Der Lootse drückte mir warm die Hand. "Kopf oben,
mein Junge!" sagte er "Du wirst darüber fortkommen;" er
schien in meinem Herzen gelesen zu haben. Das Boot kam
längseit und er ging von Bord. "Behaltene Reise!" klang
sein seemännischer Abschiedsgruß -- so einfache Worte und doch
so vielsagend! "Danke, danke Lootse!" war die Erwiderung der
Besatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot
flog dahin. "Braßt voll!" commandirte der Kapitän; die
Hinterraaen flogen herum, und der Wind blähte wieder ihre

Werner
ſchwunden, auch das linke begann ſich allmälig unter den
Horizont zu ſenken und der Thurm der Elbinſel Neuwerk er-
hob ſich als letzter Wachtpoſten des Feſtlandes aus der ihn
umgebenden Waſſerfläche. Wir ſchoſſen an dem innern Feuer-
ſchiffe vorbei, das am Tage durch ſeine rothe Farbe und durch
Kugeln auf den Spitzen der Maſten, ſowie Nachts durch weit
leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam
die in der Elbmündung verankerte Lootſen-Galliote in Sicht
und wir hielten auf ſie zu. Die Lootſenflagge wurde bei uns
im Vortop geheißt und auf dies Signal ſtieß ein Boot von der
Galliote ab, um den Lootſen abzuholen. Die Unterſegel wurden
fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das
Schiff verlor ſeine Fahrt und trieb langſam auf das wartende
Boot zu. Der Lootſe ſtand mittſchiffs an der Fallreepstreppe
und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in
die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte
viele Tage daran geſchrieben, aber ſein Inhalt verrieth nichts
von dem, was ich fühlte und feſt in meiner Bruſt verſchloſſen
hielt; die Meinigen ſollten glauben, daß ich in meinem Berufe
glücklich und zufrieden ſei. Ihre Abſchiedsbriefe waren mit
thränendem Auge oft von mir geleſen und die mir darin ge-
ſandten Segenswünſche hatten meinen herben Schmerz gelindert;
für lange, lange Zeit ſollten ſie mein einziger Schatz und mein
Troſt in der Einſamkeit ſein.

Der Lootſe drückte mir warm die Hand. „Kopf oben,
mein Junge!“ ſagte er „Du wirſt darüber fortkommen;“ er
ſchien in meinem Herzen geleſen zu haben. Das Boot kam
längſeit und er ging von Bord. „Behaltene Reiſe!“ klang
ſein ſeemänniſcher Abſchiedsgruß — ſo einfache Worte und doch
ſo vielſagend! „Danke, danke Lootſe!“ war die Erwiderung der
Beſatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot
flog dahin. „Braßt voll!“ commandirte der Kapitän; die
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[16/0028] Werner ſchwunden, auch das linke begann ſich allmälig unter den Horizont zu ſenken und der Thurm der Elbinſel Neuwerk er- hob ſich als letzter Wachtpoſten des Feſtlandes aus der ihn umgebenden Waſſerfläche. Wir ſchoſſen an dem innern Feuer- ſchiffe vorbei, das am Tage durch ſeine rothe Farbe und durch Kugeln auf den Spitzen der Maſten, ſowie Nachts durch weit leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam die in der Elbmündung verankerte Lootſen-Galliote in Sicht und wir hielten auf ſie zu. Die Lootſenflagge wurde bei uns im Vortop geheißt und auf dies Signal ſtieß ein Boot von der Galliote ab, um den Lootſen abzuholen. Die Unterſegel wurden fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das Schiff verlor ſeine Fahrt und trieb langſam auf das wartende Boot zu. Der Lootſe ſtand mittſchiffs an der Fallreepstreppe und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte viele Tage daran geſchrieben, aber ſein Inhalt verrieth nichts von dem, was ich fühlte und feſt in meiner Bruſt verſchloſſen hielt; die Meinigen ſollten glauben, daß ich in meinem Berufe glücklich und zufrieden ſei. Ihre Abſchiedsbriefe waren mit thränendem Auge oft von mir geleſen und die mir darin ge- ſandten Segenswünſche hatten meinen herben Schmerz gelindert; für lange, lange Zeit ſollten ſie mein einziger Schatz und mein Troſt in der Einſamkeit ſein. Der Lootſe drückte mir warm die Hand. „Kopf oben, mein Junge!“ ſagte er „Du wirſt darüber fortkommen;“ er ſchien in meinem Herzen geleſen zu haben. Das Boot kam längſeit und er ging von Bord. „Behaltene Reiſe!“ klang ſein ſeemänniſcher Abſchiedsgruß — ſo einfache Worte und doch ſo vielſagend! „Danke, danke Lootſe!“ war die Erwiderung der Beſatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot flog dahin. „Braßt voll!“ commandirte der Kapitän; die Hinterraaen flogen herum, und der Wind blähte wieder ihre

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/28>, abgerufen am 28.04.2024.