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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
brausend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitscht,
die von allen Seiten es zu verschlingen drohen.

Einige wenige Nichtseeleute und Matrosen begeben sich
zum Kapitän auf das Hinterdeck.

"Was sollen wir machen," sprechen sie mit schlotternden
Knieen zu ihm, "wir werden untergehen!"

"Nieder mit den Spionen!" ruft die Mannschaft, "wir
wollen sterben."

Der Kapitän steht bleich und zitternd; er nimmt dem
Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf
Wiederkehr der Ordnung, wenn er selbst commandirt; aber die
Antwort der Mannschaft ist nur höhnisches Lachen, das sich mit
dem Grollen des Sturmes mischt. Dann verschwindet auf eine
Minute Alles im dampfenden Gischt; die Brigg scheint unter-
zugehen, sie legt sich auf die Seite und die See bricht dar-
über fort.

"Kappt die Masten um Gottes Willen!" tönt es heiser
aus der Brust des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen
hinunter und Beile holen, doch die Mannschaft treibt sie von
den Luken zurück.

"Wir wollen sterben und er soll mit uns gehen," ruft
es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düsteres
Schweigen. Da kracht es, die Bemastung geht über Bord; die
Brigg richtet sich wieder auf, aber jetzt rammen die Masten
gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen.

"Ich verspreche Euch Allen Begnadigung, ich schwöre es
auf meine Ehre!" bittet der Kapitän in höchster Angst, "aber
kappt die Taue!"

"Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran?" höhnen die
Matrosen.

Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannschaft
schwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht
mehr, aus Haß gegen einen verabscheuten Vorgesetzten Schiff

Werner
brauſend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitſcht,
die von allen Seiten es zu verſchlingen drohen.

Einige wenige Nichtſeeleute und Matroſen begeben ſich
zum Kapitän auf das Hinterdeck.

„Was ſollen wir machen,“ ſprechen ſie mit ſchlotternden
Knieen zu ihm, „wir werden untergehen!“

„Nieder mit den Spionen!“ ruft die Mannſchaft, „wir
wollen ſterben.“

Der Kapitän ſteht bleich und zitternd; er nimmt dem
Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf
Wiederkehr der Ordnung, wenn er ſelbſt commandirt; aber die
Antwort der Mannſchaft iſt nur höhniſches Lachen, das ſich mit
dem Grollen des Sturmes miſcht. Dann verſchwindet auf eine
Minute Alles im dampfenden Giſcht; die Brigg ſcheint unter-
zugehen, ſie legt ſich auf die Seite und die See bricht dar-
über fort.

„Kappt die Maſten um Gottes Willen!“ tönt es heiſer
aus der Bruſt des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen
hinunter und Beile holen, doch die Mannſchaft treibt ſie von
den Luken zurück.

„Wir wollen ſterben und er ſoll mit uns gehen,“ ruft
es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düſteres
Schweigen. Da kracht es, die Bemaſtung geht über Bord; die
Brigg richtet ſich wieder auf, aber jetzt rammen die Maſten
gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen.

„Ich verſpreche Euch Allen Begnadigung, ich ſchwöre es
auf meine Ehre!“ bittet der Kapitän in höchſter Angſt, „aber
kappt die Taue!“

„Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran?“ höhnen die
Matroſen.

Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannſchaft
ſchwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht
mehr, aus Haß gegen einen verabſcheuten Vorgeſetzten Schiff

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[258/0270] Werner brauſend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitſcht, die von allen Seiten es zu verſchlingen drohen. Einige wenige Nichtſeeleute und Matroſen begeben ſich zum Kapitän auf das Hinterdeck. „Was ſollen wir machen,“ ſprechen ſie mit ſchlotternden Knieen zu ihm, „wir werden untergehen!“ „Nieder mit den Spionen!“ ruft die Mannſchaft, „wir wollen ſterben.“ Der Kapitän ſteht bleich und zitternd; er nimmt dem Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf Wiederkehr der Ordnung, wenn er ſelbſt commandirt; aber die Antwort der Mannſchaft iſt nur höhniſches Lachen, das ſich mit dem Grollen des Sturmes miſcht. Dann verſchwindet auf eine Minute Alles im dampfenden Giſcht; die Brigg ſcheint unter- zugehen, ſie legt ſich auf die Seite und die See bricht dar- über fort. „Kappt die Maſten um Gottes Willen!“ tönt es heiſer aus der Bruſt des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen hinunter und Beile holen, doch die Mannſchaft treibt ſie von den Luken zurück. „Wir wollen ſterben und er ſoll mit uns gehen,“ ruft es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düſteres Schweigen. Da kracht es, die Bemaſtung geht über Bord; die Brigg richtet ſich wieder auf, aber jetzt rammen die Maſten gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen. „Ich verſpreche Euch Allen Begnadigung, ich ſchwöre es auf meine Ehre!“ bittet der Kapitän in höchſter Angſt, „aber kappt die Taue!“ „Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran?“ höhnen die Matroſen. Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannſchaft ſchwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht mehr, aus Haß gegen einen verabſcheuten Vorgeſetzten Schiff

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/270>, abgerufen am 22.11.2024.