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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
und Leben zu verlieren; sie will mehr, sie lechzt nach Blut und
dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck.

"Du mußt sterben, Hyäne!" zischt es in sein Ohr, "sterben
mit uns, aber Du zuerst und mit Dir Deine Spione."

"Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe
Ihnen meine Fürsprache, Beförderung, Orden" -- die Angst er-
stickt seine Stimme -- aber die Officiere verhalten sich schweigend
wie bisher; nur der erste Officier begiebt sich in das Zwischen-
deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen;
ein schwacher Hoffnungsschimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge-
sicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzseen
überfluthen inzwischen das Deck, der Orkan heult und das
Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen
Masten gegen Bug und Seite. Mit diesen Schrecken mischt
sich der Angstschrei von Menschen; es sind die Spione des
Kapitäns, die Mannschaft hat sich ihrer bemächtigt, ihnen die
Kleider vom Leibe gerissen und peitscht sie erbarmungslos.
Blutgieriger Wahnsinn leuchtet aus den Augen der Matrosen,
die Officiere schauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung
zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade.
In diesem Augenblicke öffnet der erste Officier die Thür zur
Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge-
wittern und das Schiff fliegt zerschellt in die Lüfte -- Opfer
und Henker werden von den Wellen verschlungen.

Die Bö ist vorüber, der Sturm schweigt, die aufgeregten
Wogen glätten sich und die Sonne sendet wieder friedlich ihre
leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde
später passirt ein amerikanisches Schiff die Stelle, wo das Grausige
sich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber-
lebende der erschütternden Katastrophe und wird von den Ameri-
kanern aufgenommen; es ist ein Schiffsjunge, halbtodt und mit
schweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zusammenhang,
aber am andern Tage war auch er seinen Leiden erlegen.


17*

Ernſtes und Heiteres
und Leben zu verlieren; ſie will mehr, ſie lechzt nach Blut und
dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck.

„Du mußt ſterben, Hyäne!“ ziſcht es in ſein Ohr, „ſterben
mit uns, aber Du zuerſt und mit Dir Deine Spione.“

„Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe
Ihnen meine Fürſprache, Beförderung, Orden“ — die Angſt er-
ſtickt ſeine Stimme — aber die Officiere verhalten ſich ſchweigend
wie bisher; nur der erſte Officier begiebt ſich in das Zwiſchen-
deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen;
ein ſchwacher Hoffnungsſchimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge-
ſicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzſeen
überfluthen inzwiſchen das Deck, der Orkan heult und das
Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen
Maſten gegen Bug und Seite. Mit dieſen Schrecken miſcht
ſich der Angſtſchrei von Menſchen; es ſind die Spione des
Kapitäns, die Mannſchaft hat ſich ihrer bemächtigt, ihnen die
Kleider vom Leibe geriſſen und peitſcht ſie erbarmungslos.
Blutgieriger Wahnſinn leuchtet aus den Augen der Matroſen,
die Officiere ſchauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung
zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade.
In dieſem Augenblicke öffnet der erſte Officier die Thür zur
Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge-
wittern und das Schiff fliegt zerſchellt in die Lüfte — Opfer
und Henker werden von den Wellen verſchlungen.

Die Bö iſt vorüber, der Sturm ſchweigt, die aufgeregten
Wogen glätten ſich und die Sonne ſendet wieder friedlich ihre
leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde
ſpäter paſſirt ein amerikaniſches Schiff die Stelle, wo das Grauſige
ſich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber-
lebende der erſchütternden Kataſtrophe und wird von den Ameri-
kanern aufgenommen; es iſt ein Schiffsjunge, halbtodt und mit
ſchweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zuſammenhang,
aber am andern Tage war auch er ſeinen Leiden erlegen.


17*
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[259/0271] Ernſtes und Heiteres und Leben zu verlieren; ſie will mehr, ſie lechzt nach Blut und dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck. „Du mußt ſterben, Hyäne!“ ziſcht es in ſein Ohr, „ſterben mit uns, aber Du zuerſt und mit Dir Deine Spione.“ „Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe Ihnen meine Fürſprache, Beförderung, Orden“ — die Angſt er- ſtickt ſeine Stimme — aber die Officiere verhalten ſich ſchweigend wie bisher; nur der erſte Officier begiebt ſich in das Zwiſchen- deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen; ein ſchwacher Hoffnungsſchimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge- ſicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzſeen überfluthen inzwiſchen das Deck, der Orkan heult und das Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen Maſten gegen Bug und Seite. Mit dieſen Schrecken miſcht ſich der Angſtſchrei von Menſchen; es ſind die Spione des Kapitäns, die Mannſchaft hat ſich ihrer bemächtigt, ihnen die Kleider vom Leibe geriſſen und peitſcht ſie erbarmungslos. Blutgieriger Wahnſinn leuchtet aus den Augen der Matroſen, die Officiere ſchauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade. In dieſem Augenblicke öffnet der erſte Officier die Thür zur Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge- wittern und das Schiff fliegt zerſchellt in die Lüfte — Opfer und Henker werden von den Wellen verſchlungen. Die Bö iſt vorüber, der Sturm ſchweigt, die aufgeregten Wogen glätten ſich und die Sonne ſendet wieder friedlich ihre leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde ſpäter paſſirt ein amerikaniſches Schiff die Stelle, wo das Grauſige ſich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber- lebende der erſchütternden Kataſtrophe und wird von den Ameri- kanern aufgenommen; es iſt ein Schiffsjunge, halbtodt und mit ſchweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zuſammenhang, aber am andern Tage war auch er ſeinen Leiden erlegen. 17*

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/271>, abgerufen am 22.11.2024.