"Da haben wir es schon" sagte der Bootsmann und das Tabaksprümchen flog mit Gewalt in seinem Munde von Backbord nach Steuerbord, "nun wird auch bald das Reefen* hinterher kommen."
Der Zimmermann ging mit zum Brassen; der Wind war auf Südwest zurückgesprungen und frischte steif auf. Die kleineren Segel konnten grade noch stehen, aber der jetzt seitlich einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch änderte sich zu meinem Erstaunen die ganze Scenerie um mich überraschend schnell; die von mir vermißten Wellen waren, wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als seien sie hervor- gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen sein, wo schon länger starker Westwind gestanden hatte. Das bis dahin so ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be- wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, so daß ich mich krampfhaft an einem Tau festhielt und mit den Augen vergebens nach einem festen Punkte am Horizonte suchte. Plötzlich stampfte die "Alma" tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom- mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwasser ein.
"Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt?" fragte mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort hätte gelautet: "In diesem Augenblicke herzlich schlecht", aber sie blieb mir in der Kehle stecken oder flog vielmehr unaus- gesprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See- krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig. Himmel, welches Dasein! über alle Maßen elend. Man hätte mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht gesträubt haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in's Freie.
* Verkleinern der Segel.
2*
Eine erſte Seereiſe
„Da haben wir es ſchon“ ſagte der Bootsmann und das Tabaksprümchen flog mit Gewalt in ſeinem Munde von Backbord nach Steuerbord, „nun wird auch bald das Reefen* hinterher kommen.“
Der Zimmermann ging mit zum Braſſen; der Wind war auf Südweſt zurückgeſprungen und friſchte ſteif auf. Die kleineren Segel konnten grade noch ſtehen, aber der jetzt ſeitlich einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch änderte ſich zu meinem Erſtaunen die ganze Scenerie um mich überraſchend ſchnell; die von mir vermißten Wellen waren, wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als ſeien ſie hervor- gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen ſein, wo ſchon länger ſtarker Weſtwind geſtanden hatte. Das bis dahin ſo ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be- wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, ſo daß ich mich krampfhaft an einem Tau feſthielt und mit den Augen vergebens nach einem feſten Punkte am Horizonte ſuchte. Plötzlich ſtampfte die „Alma“ tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom- mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwaſſer ein.
„Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt?“ fragte mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort hätte gelautet: „In dieſem Augenblicke herzlich ſchlecht“, aber ſie blieb mir in der Kehle ſtecken oder flog vielmehr unaus- geſprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See- krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig. Himmel, welches Daſein! über alle Maßen elend. Man hätte mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht geſträubt haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in’s Freie.
* Verkleinern der Segel.
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Eine erſte Seereiſe
„Da haben wir es ſchon“ ſagte der Bootsmann und das
Tabaksprümchen flog mit Gewalt in ſeinem Munde von Backbord
nach Steuerbord, „nun wird auch bald das Reefen * hinterher
kommen.“
Der Zimmermann ging mit zum Braſſen; der Wind war
auf Südweſt zurückgeſprungen und friſchte ſteif auf. Die
kleineren Segel konnten grade noch ſtehen, aber der jetzt ſeitlich
einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch
änderte ſich zu meinem Erſtaunen die ganze Scenerie um mich
überraſchend ſchnell; die von mir vermißten Wellen waren,
wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als ſeien ſie hervor-
gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen ſein,
wo ſchon länger ſtarker Weſtwind geſtanden hatte. Das bis
dahin ſo ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be-
wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, ſo daß
ich mich krampfhaft an einem Tau feſthielt und mit den Augen
vergebens nach einem feſten Punkte am Horizonte ſuchte. Plötzlich
ſtampfte die „Alma“ tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht,
fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom-
mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwaſſer ein.
„Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt?“ fragte
mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort
hätte gelautet: „In dieſem Augenblicke herzlich ſchlecht“, aber
ſie blieb mir in der Kehle ſtecken oder flog vielmehr unaus-
geſprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See-
krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig.
Himmel, welches Daſein! über alle Maßen elend. Man hätte
mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht geſträubt
haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte
hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme
drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum
Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in’s Freie.
* Verkleinern der Segel.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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