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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Inzwischen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es
dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf
der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee
hinter der Kombüse*, war eine Parthie Stroh aufgestapelt, das
man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand
ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geschütztes Plätzchen
und machte mir ein Nest. Man hatte wol Erbarmen mit
meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht
deckte mich sogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch
zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom
Sonnabend bis Dienstag, drei volle Tage, dauerte der schreck-
liche Zustand; von dem was um mich her vorging, empfand
ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübseligen
Existenz zu thun. Dann endlich wurde mir besser zu Muthe
und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren
beim Mittagessen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüse
stand ein Rest im Topfe. Sie erschienen mir plötzlich sehr ver-
lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig,
obwol es wol drei Rationen sein mochten -- die Natur wollte
ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte
mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in
wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachsen, d. h.
ich hatte gelernt, bei den schwankenden Bewegungen des Schiffes
mich im Gleichgewicht zu halten.

Das alte Seemannssprichwort bezüglich der Richtung des
kommenden Windes: "Im Sommer die Bänke**, im Winter die
Blänke," aus dem der Zimmermann seine meteorologische
Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der
Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des sonst
gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Westwind hatte
unangenehmen Bestand. Bald war er sehr steif, bald flaute

* Küche.
** Dunkle Wolkenstreifen am Horizont.

Werner
Inzwiſchen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es
dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf
der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee
hinter der Kombüſe*, war eine Parthie Stroh aufgeſtapelt, das
man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand
ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geſchütztes Plätzchen
und machte mir ein Neſt. Man hatte wol Erbarmen mit
meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht
deckte mich ſogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch
zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom
Sonnabend bis Dienſtag, drei volle Tage, dauerte der ſchreck-
liche Zuſtand; von dem was um mich her vorging, empfand
ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübſeligen
Exiſtenz zu thun. Dann endlich wurde mir beſſer zu Muthe
und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren
beim Mittageſſen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüſe
ſtand ein Reſt im Topfe. Sie erſchienen mir plötzlich ſehr ver-
lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig,
obwol es wol drei Rationen ſein mochten — die Natur wollte
ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte
mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in
wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachſen, d. h.
ich hatte gelernt, bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes
mich im Gleichgewicht zu halten.

Das alte Seemannsſprichwort bezüglich der Richtung des
kommenden Windes: „Im Sommer die Bänke**, im Winter die
Blänke,“ aus dem der Zimmermann ſeine meteorologiſche
Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der
Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des ſonſt
gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Weſtwind hatte
unangenehmen Beſtand. Bald war er ſehr ſteif, bald flaute

* Küche.
** Dunkle Wolkenſtreifen am Horizont.
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[20/0032] Werner Inzwiſchen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee hinter der Kombüſe *, war eine Parthie Stroh aufgeſtapelt, das man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geſchütztes Plätzchen und machte mir ein Neſt. Man hatte wol Erbarmen mit meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht deckte mich ſogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom Sonnabend bis Dienſtag, drei volle Tage, dauerte der ſchreck- liche Zuſtand; von dem was um mich her vorging, empfand ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübſeligen Exiſtenz zu thun. Dann endlich wurde mir beſſer zu Muthe und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren beim Mittageſſen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüſe ſtand ein Reſt im Topfe. Sie erſchienen mir plötzlich ſehr ver- lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig, obwol es wol drei Rationen ſein mochten — die Natur wollte ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachſen, d. h. ich hatte gelernt, bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes mich im Gleichgewicht zu halten. Das alte Seemannsſprichwort bezüglich der Richtung des kommenden Windes: „Im Sommer die Bänke **, im Winter die Blänke,“ aus dem der Zimmermann ſeine meteorologiſche Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des ſonſt gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Weſtwind hatte unangenehmen Beſtand. Bald war er ſehr ſteif, bald flaute * Küche. ** Dunkle Wolkenſtreifen am Horizont.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/32>, abgerufen am 21.11.2024.