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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer
doppelte Zeit bis Plymouth, unserem ersten Stationsorte, be-
hufs Kohlenergänzung, gebrauchten.

Kohlenergänzung! Schreckliches Wort im nautischen Lexi-
con! Wie viele Commandanten und ersten Officiere hat es
schon zur Verzweiflung gebracht und obenein, wenn es un-
unterbrochen dabei regnet, wie wir es trafen. Von den Hun-
derten in dem engen Raum zusammengedrängten Menschen wird
der Schmutz überall hingetragen, jedes Fleckchen im ganzen
Schiffe mit einer schwarzen Kruste überzogen und Jeder an
Bord sieht aus wie ein Neger. Die moderne Seefahrt hat
durch den Dampf viel unerquickliche Zugaben erhalten, aber die
Kohlenergänzung ist die unerquicklichste. Wir waren herzlich
froh, damit zu Ende zu sein, dem während der ganzen Zeit
in einen Regenschleier gehüllten Plymouth den Rücken zu kehren
und unsere Schritte gen Süden nach Madeira zu richten.

Was nach gründlicher Wäsche im Hafen von Kohlenschmutz
auf dem Schiffe noch sitzen geblieben war, das spülte schon am
nächsten Tage der Weiterreise die See fort, denn die berüchtigte
Bai von Biscaya, für welche die Maury'schen Wind- und
Wetterkarten jeden dritten Tag einen Sturm vorzeichnen, ließ
uns nicht ungeschoren.

Ein von jenseits des Oceans herüberkommender Cyclon,
dessen Centrum über uns fort ging, stellte die nautischen Eigen-
schaften der drei Schiffe auf eine sehr scharfe Probe, schüttelte
sie nach Herzenslust und sprengte sie auseinander. Der "Fried-
rich Karl" entwickelte dabei die "berechtigten Eigenthümlichkeiten"
fast aller Panzerschiffe in schwerer See und rollte eine Zeit lang
so heftig, daß man bisweilen versucht war, sich die Frage vor-
zulegen: "Wird er sich wieder aufrichten?" wenn er beim
Ueberholen fast die Spitzen der Unterraaen in das Wasser
tauchte. Indessen gewöhnte man sich allmälig an das forcirte
Wiegen und gewann im Uebrigen die Ueberzeugung, ein gutes
festes Schiff unter den Füßen zu haben.


Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
doppelte Zeit bis Plymouth, unſerem erſten Stationsorte, be-
hufs Kohlenergänzung, gebrauchten.

Kohlenergänzung! Schreckliches Wort im nautiſchen Lexi-
con! Wie viele Commandanten und erſten Officiere hat es
ſchon zur Verzweiflung gebracht und obenein, wenn es un-
unterbrochen dabei regnet, wie wir es trafen. Von den Hun-
derten in dem engen Raum zuſammengedrängten Menſchen wird
der Schmutz überall hingetragen, jedes Fleckchen im ganzen
Schiffe mit einer ſchwarzen Kruſte überzogen und Jeder an
Bord ſieht aus wie ein Neger. Die moderne Seefahrt hat
durch den Dampf viel unerquickliche Zugaben erhalten, aber die
Kohlenergänzung iſt die unerquicklichſte. Wir waren herzlich
froh, damit zu Ende zu ſein, dem während der ganzen Zeit
in einen Regenſchleier gehüllten Plymouth den Rücken zu kehren
und unſere Schritte gen Süden nach Madeira zu richten.

Was nach gründlicher Wäſche im Hafen von Kohlenſchmutz
auf dem Schiffe noch ſitzen geblieben war, das ſpülte ſchon am
nächſten Tage der Weiterreiſe die See fort, denn die berüchtigte
Bai von Biscaya, für welche die Maury’ſchen Wind- und
Wetterkarten jeden dritten Tag einen Sturm vorzeichnen, ließ
uns nicht ungeſchoren.

Ein von jenſeits des Oceans herüberkommender Cyclon,
deſſen Centrum über uns fort ging, ſtellte die nautiſchen Eigen-
ſchaften der drei Schiffe auf eine ſehr ſcharfe Probe, ſchüttelte
ſie nach Herzensluſt und ſprengte ſie auseinander. Der „Fried-
rich Karl“ entwickelte dabei die „berechtigten Eigenthümlichkeiten“
faſt aller Panzerſchiffe in ſchwerer See und rollte eine Zeit lang
ſo heftig, daß man bisweilen verſucht war, ſich die Frage vor-
zulegen: „Wird er ſich wieder aufrichten?“ wenn er beim
Ueberholen faſt die Spitzen der Unterraaen in das Waſſer
tauchte. Indeſſen gewöhnte man ſich allmälig an das forcirte
Wiegen und gewann im Uebrigen die Ueberzeugung, ein gutes
feſtes Schiff unter den Füßen zu haben.


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[311/0323] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer doppelte Zeit bis Plymouth, unſerem erſten Stationsorte, be- hufs Kohlenergänzung, gebrauchten. Kohlenergänzung! Schreckliches Wort im nautiſchen Lexi- con! Wie viele Commandanten und erſten Officiere hat es ſchon zur Verzweiflung gebracht und obenein, wenn es un- unterbrochen dabei regnet, wie wir es trafen. Von den Hun- derten in dem engen Raum zuſammengedrängten Menſchen wird der Schmutz überall hingetragen, jedes Fleckchen im ganzen Schiffe mit einer ſchwarzen Kruſte überzogen und Jeder an Bord ſieht aus wie ein Neger. Die moderne Seefahrt hat durch den Dampf viel unerquickliche Zugaben erhalten, aber die Kohlenergänzung iſt die unerquicklichſte. Wir waren herzlich froh, damit zu Ende zu ſein, dem während der ganzen Zeit in einen Regenſchleier gehüllten Plymouth den Rücken zu kehren und unſere Schritte gen Süden nach Madeira zu richten. Was nach gründlicher Wäſche im Hafen von Kohlenſchmutz auf dem Schiffe noch ſitzen geblieben war, das ſpülte ſchon am nächſten Tage der Weiterreiſe die See fort, denn die berüchtigte Bai von Biscaya, für welche die Maury’ſchen Wind- und Wetterkarten jeden dritten Tag einen Sturm vorzeichnen, ließ uns nicht ungeſchoren. Ein von jenſeits des Oceans herüberkommender Cyclon, deſſen Centrum über uns fort ging, ſtellte die nautiſchen Eigen- ſchaften der drei Schiffe auf eine ſehr ſcharfe Probe, ſchüttelte ſie nach Herzensluſt und ſprengte ſie auseinander. Der „Fried- rich Karl“ entwickelte dabei die „berechtigten Eigenthümlichkeiten“ faſt aller Panzerſchiffe in ſchwerer See und rollte eine Zeit lang ſo heftig, daß man bisweilen verſucht war, ſich die Frage vor- zulegen: „Wird er ſich wieder aufrichten?“ wenn er beim Ueberholen faſt die Spitzen der Unterraaen in das Waſſer tauchte. Indeſſen gewöhnte man ſich allmälig an das forcirte Wiegen und gewann im Uebrigen die Ueberzeugung, ein gutes feſtes Schiff unter den Füßen zu haben.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/323>, abgerufen am 22.11.2024.