nannt werden kann und die gerade im Contrast der sie um- gebenden wilden und großartigen Natur um so schöner und lieb- licher erscheint.
Stunden lang schwelgten wir nach Herzenslust in dem reizenden Idyll und erfrischten Herz und Geist daran. Dann mahnte die Zeit zum Aufbruch und es ging heimwärts, ein Blümchen am Hut zur Erinnerung. Oben auf den Höhen lagerten jetzt Wolken und umfingen uns mit dichtem Nebel, der unheimlich auf uns lastete. Dann stiegen wir über sie hinaus, die Sonne schien strahlend aus dem tiefblauen Aether hernieder auf die zackige Felsspitze des mächtigen Pico-Ruivo und die Gipfel der übrigen Berge. Aber ihre Körper, die Thäler und Schluchten, die Wälder und das Meer, sie waren in dem weiß- lich grauen Wolkenschleier verborgen, der unter uns die Insel bedeckte, und es war uns, als ob wir in unermeßlicher Höhe über der Erde schwebten und jeden Augenblick hinabstürzen könnten in bodenlose Abgründe.
Doch mit festem, sicherem Schritt trugen uns unsere Pferde thalwärts durch das Dunkel und wieder hinein in das sonnige helle Leben, mit seinen Bäumen und Blumen. Aus den Thä- lern klangen die Glocken weidender Heerden zu uns herauf, das Meer leuchtete im himmlischen Blau und die Brandung zog ein Silberband um die felsigen Ufer der Insel. Aus dem dunkeln Grün tauchten nach einander Häuser auf; dann kamen wir an das 2000 Fuß hoch gelegene Kloster Signora dal Monte, dessen weiße Mauern den ansegelnden Schiffen auf viele Meilen als sichere Landmarke erscheinen.
Hier verließen wir unsere Pferde, um in flachen breiten Schlitten die letzte Strecke bis zur Stadt hinunter zu sausen. Hui! Wie flogen wir dahin, "daß Roß und Reiter schnoben und Kies und Funken stoben." Zuletzt mußten unsere Arrieros gewaltsam hemmen, indem sie hinten auf die Kufen sprangen, denn diese begannen zu brennen, so heftig war die Reibung auf
Werner
nannt werden kann und die gerade im Contraſt der ſie um- gebenden wilden und großartigen Natur um ſo ſchöner und lieb- licher erſcheint.
Stunden lang ſchwelgten wir nach Herzensluſt in dem reizenden Idyll und erfriſchten Herz und Geiſt daran. Dann mahnte die Zeit zum Aufbruch und es ging heimwärts, ein Blümchen am Hut zur Erinnerung. Oben auf den Höhen lagerten jetzt Wolken und umfingen uns mit dichtem Nebel, der unheimlich auf uns laſtete. Dann ſtiegen wir über ſie hinaus, die Sonne ſchien ſtrahlend aus dem tiefblauen Aether hernieder auf die zackige Felsſpitze des mächtigen Pico-Ruivo und die Gipfel der übrigen Berge. Aber ihre Körper, die Thäler und Schluchten, die Wälder und das Meer, ſie waren in dem weiß- lich grauen Wolkenſchleier verborgen, der unter uns die Inſel bedeckte, und es war uns, als ob wir in unermeßlicher Höhe über der Erde ſchwebten und jeden Augenblick hinabſtürzen könnten in bodenloſe Abgründe.
Doch mit feſtem, ſicherem Schritt trugen uns unſere Pferde thalwärts durch das Dunkel und wieder hinein in das ſonnige helle Leben, mit ſeinen Bäumen und Blumen. Aus den Thä- lern klangen die Glocken weidender Heerden zu uns herauf, das Meer leuchtete im himmliſchen Blau und die Brandung zog ein Silberband um die felſigen Ufer der Inſel. Aus dem dunkeln Grün tauchten nach einander Häuſer auf; dann kamen wir an das 2000 Fuß hoch gelegene Kloſter Signora dal Monte, deſſen weiße Mauern den anſegelnden Schiffen auf viele Meilen als ſichere Landmarke erſcheinen.
Hier verließen wir unſere Pferde, um in flachen breiten Schlitten die letzte Strecke bis zur Stadt hinunter zu ſauſen. Hui! Wie flogen wir dahin, „daß Roß und Reiter ſchnoben und Kies und Funken ſtoben.“ Zuletzt mußten unſere Arrieros gewaltſam hemmen, indem ſie hinten auf die Kufen ſprangen, denn dieſe begannen zu brennen, ſo heftig war die Reibung auf
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Werner
nannt werden kann und die gerade im Contraſt der ſie um-
gebenden wilden und großartigen Natur um ſo ſchöner und lieb-
licher erſcheint.
Stunden lang ſchwelgten wir nach Herzensluſt in dem
reizenden Idyll und erfriſchten Herz und Geiſt daran. Dann
mahnte die Zeit zum Aufbruch und es ging heimwärts, ein
Blümchen am Hut zur Erinnerung. Oben auf den Höhen
lagerten jetzt Wolken und umfingen uns mit dichtem Nebel, der
unheimlich auf uns laſtete. Dann ſtiegen wir über ſie hinaus,
die Sonne ſchien ſtrahlend aus dem tiefblauen Aether hernieder
auf die zackige Felsſpitze des mächtigen Pico-Ruivo und die
Gipfel der übrigen Berge. Aber ihre Körper, die Thäler und
Schluchten, die Wälder und das Meer, ſie waren in dem weiß-
lich grauen Wolkenſchleier verborgen, der unter uns die Inſel
bedeckte, und es war uns, als ob wir in unermeßlicher Höhe
über der Erde ſchwebten und jeden Augenblick hinabſtürzen
könnten in bodenloſe Abgründe.
Doch mit feſtem, ſicherem Schritt trugen uns unſere Pferde
thalwärts durch das Dunkel und wieder hinein in das ſonnige
helle Leben, mit ſeinen Bäumen und Blumen. Aus den Thä-
lern klangen die Glocken weidender Heerden zu uns herauf, das
Meer leuchtete im himmliſchen Blau und die Brandung zog ein
Silberband um die felſigen Ufer der Inſel. Aus dem dunkeln
Grün tauchten nach einander Häuſer auf; dann kamen wir an
das 2000 Fuß hoch gelegene Kloſter Signora dal Monte, deſſen
weiße Mauern den anſegelnden Schiffen auf viele Meilen als
ſichere Landmarke erſcheinen.
Hier verließen wir unſere Pferde, um in flachen breiten
Schlitten die letzte Strecke bis zur Stadt hinunter zu ſauſen.
Hui! Wie flogen wir dahin, „daß Roß und Reiter ſchnoben
und Kies und Funken ſtoben.“ Zuletzt mußten unſere Arrieros
gewaltſam hemmen, indem ſie hinten auf die Kufen ſprangen,
denn dieſe begannen zu brennen, ſo heftig war die Reibung auf
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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