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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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kommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen
des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte
so viel zu sehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein
schnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir
grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je schneller,
desto besser.

Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der
Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Masten
und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern versehen sind.
Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das
Oberbramsegel, das höchste im Schiff, los oder fest zu machen,
oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geschah nämlich
seitdem ich nicht mehr seekrank war, täglich und zwar mußten
mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unsere Frei-
wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän,
von dessen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be-
merkt, hatte diese Anordnung getroffen, um uns flink zu machen,
und es läßt sich nicht leugnen, daß das Mittel probat war.
Nichts wird an Bord mehr geschätzt als Ruhe und Schlaf und
es gehört zu den täglichen Vorkommnissen, daß sowol der
Matrose wie der junge Officier sich während der ihnen ver-
gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken lassen,
nur um sich zu sagen, du kannst noch ein bis zwei Stunden
schlafen und im Bewußtsein dieses Hochgenusses sich auf die
andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der
Schlaf grade so viel werth, und sehr bald hatten wir das
Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter
uns, so daß der Kapitän seinen Zweck völlig erreicht hatte.

Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten;
durch das Ziehen an den von Salzwasser nassen Tauen bekamen
meine Finger tiefe Risse an den Seiten, und ich mußte manchen
harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte,
mich geschickt auf den beschränkten Räumen des Schiffes zu

Werner
kommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen
des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte
ſo viel zu ſehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein
ſchnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir
grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je ſchneller,
deſto beſſer.

Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der
Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Maſten
und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern verſehen ſind.
Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das
Oberbramſegel, das höchſte im Schiff, los oder feſt zu machen,
oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geſchah nämlich
ſeitdem ich nicht mehr ſeekrank war, täglich und zwar mußten
mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unſere Frei-
wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän,
von deſſen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be-
merkt, hatte dieſe Anordnung getroffen, um uns flink zu machen,
und es läßt ſich nicht leugnen, daß das Mittel probat war.
Nichts wird an Bord mehr geſchätzt als Ruhe und Schlaf und
es gehört zu den täglichen Vorkommniſſen, daß ſowol der
Matroſe wie der junge Officier ſich während der ihnen ver-
gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken laſſen,
nur um ſich zu ſagen, du kannſt noch ein bis zwei Stunden
ſchlafen und im Bewußtſein dieſes Hochgenuſſes ſich auf die
andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der
Schlaf grade ſo viel werth, und ſehr bald hatten wir das
Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter
uns, ſo daß der Kapitän ſeinen Zweck völlig erreicht hatte.

Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten;
durch das Ziehen an den von Salzwaſſer naſſen Tauen bekamen
meine Finger tiefe Riſſe an den Seiten, und ich mußte manchen
harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte,
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[22/0034] Werner kommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte ſo viel zu ſehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein ſchnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je ſchneller, deſto beſſer. Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Maſten und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern verſehen ſind. Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das Oberbramſegel, das höchſte im Schiff, los oder feſt zu machen, oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geſchah nämlich ſeitdem ich nicht mehr ſeekrank war, täglich und zwar mußten mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unſere Frei- wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän, von deſſen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be- merkt, hatte dieſe Anordnung getroffen, um uns flink zu machen, und es läßt ſich nicht leugnen, daß das Mittel probat war. Nichts wird an Bord mehr geſchätzt als Ruhe und Schlaf und es gehört zu den täglichen Vorkommniſſen, daß ſowol der Matroſe wie der junge Officier ſich während der ihnen ver- gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken laſſen, nur um ſich zu ſagen, du kannſt noch ein bis zwei Stunden ſchlafen und im Bewußtſein dieſes Hochgenuſſes ſich auf die andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der Schlaf grade ſo viel werth, und ſehr bald hatten wir das Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter uns, ſo daß der Kapitän ſeinen Zweck völlig erreicht hatte. Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten; durch das Ziehen an den von Salzwaſſer naſſen Tauen bekamen meine Finger tiefe Riſſe an den Seiten, und ich mußte manchen harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte, mich geſchickt auf den beſchränkten Räumen des Schiffes zu

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/34>, abgerufen am 27.04.2024.