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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
bewegen -- aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag
brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß
zum Bootsmann bei; dasselbe gestaltete sich immer freundschaft-
licher, besonders seitdem er merkte, daß ich gute Fortschritte im
Plattdeutschen machte, wenngleich er mich deshalb doch "Schweizer"
nannte. Er gab mir allerlei gute Rathschläge, wie ich mich
in diesem oder jenem schwierigen Falle meines Faches zu ver-
halten hatte, weihte mich in die Geheimnisse des Langspleißes,
des Grummetstroppes, des türkischen Knotens und anderer zur
Zunft gehörigen künstlichen Tauwerksarbeiten ein und war sehr
befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Versuch
gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach
so furchtbar seekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie
todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten
nach dieser Richtung definitiv Abstand zu nehmen.

Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach
Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und astronomische Orts-
bestimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das
Loth war unser einziger Wegweiser gewesen und wie der Blinde
mit dem Stock hatten wir unsern Weg nach der Wassertiefe
und Beschaffenheit des Grundes, welchen das an seiner untern
Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müssen.
Das Wetter hatte sich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur
selten brauchte ein Reff eingesteckt zu werden, jetzt jedoch mehr-
ten sich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge sei.
Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder
dunkle zerrissene Wolken; am Horizont ballten sie sich zusam-
men, so daß sie wie Gebirgsmassen mit scharf geränderten
Kuppen erschienen. Der Wind begann stoßweise zu wehen und
man hörte es oben in den Lüften rauschen. Die See wurde
unruhig, und der Barometer fiel stark. Das hätte nun alles
noch hingehen mögen, aber das Schlimmste war, daß der
Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt

Eine erſte Seereiſe
bewegen — aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag
brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß
zum Bootsmann bei; daſſelbe geſtaltete ſich immer freundſchaft-
licher, beſonders ſeitdem er merkte, daß ich gute Fortſchritte im
Plattdeutſchen machte, wenngleich er mich deshalb doch „Schweizer“
nannte. Er gab mir allerlei gute Rathſchläge, wie ich mich
in dieſem oder jenem ſchwierigen Falle meines Faches zu ver-
halten hatte, weihte mich in die Geheimniſſe des Langſpleißes,
des Grummetſtroppes, des türkiſchen Knotens und anderer zur
Zunft gehörigen künſtlichen Tauwerksarbeiten ein und war ſehr
befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Verſuch
gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach
ſo furchtbar ſeekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie
todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten
nach dieſer Richtung definitiv Abſtand zu nehmen.

Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach
Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und aſtronomiſche Orts-
beſtimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das
Loth war unſer einziger Wegweiſer geweſen und wie der Blinde
mit dem Stock hatten wir unſern Weg nach der Waſſertiefe
und Beſchaffenheit des Grundes, welchen das an ſeiner untern
Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müſſen.
Das Wetter hatte ſich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur
ſelten brauchte ein Reff eingeſteckt zu werden, jetzt jedoch mehr-
ten ſich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge ſei.
Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder
dunkle zerriſſene Wolken; am Horizont ballten ſie ſich zuſam-
men, ſo daß ſie wie Gebirgsmaſſen mit ſcharf geränderten
Kuppen erſchienen. Der Wind begann ſtoßweiſe zu wehen und
man hörte es oben in den Lüften rauſchen. Die See wurde
unruhig, und der Barometer fiel ſtark. Das hätte nun alles
noch hingehen mögen, aber das Schlimmſte war, daß der
Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt

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[23/0035] Eine erſte Seereiſe bewegen — aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß zum Bootsmann bei; daſſelbe geſtaltete ſich immer freundſchaft- licher, beſonders ſeitdem er merkte, daß ich gute Fortſchritte im Plattdeutſchen machte, wenngleich er mich deshalb doch „Schweizer“ nannte. Er gab mir allerlei gute Rathſchläge, wie ich mich in dieſem oder jenem ſchwierigen Falle meines Faches zu ver- halten hatte, weihte mich in die Geheimniſſe des Langſpleißes, des Grummetſtroppes, des türkiſchen Knotens und anderer zur Zunft gehörigen künſtlichen Tauwerksarbeiten ein und war ſehr befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Verſuch gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach ſo furchtbar ſeekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten nach dieſer Richtung definitiv Abſtand zu nehmen. Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und aſtronomiſche Orts- beſtimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das Loth war unſer einziger Wegweiſer geweſen und wie der Blinde mit dem Stock hatten wir unſern Weg nach der Waſſertiefe und Beſchaffenheit des Grundes, welchen das an ſeiner untern Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müſſen. Das Wetter hatte ſich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur ſelten brauchte ein Reff eingeſteckt zu werden, jetzt jedoch mehr- ten ſich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge ſei. Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder dunkle zerriſſene Wolken; am Horizont ballten ſie ſich zuſam- men, ſo daß ſie wie Gebirgsmaſſen mit ſcharf geränderten Kuppen erſchienen. Der Wind begann ſtoßweiſe zu wehen und man hörte es oben in den Lüften rauſchen. Die See wurde unruhig, und der Barometer fiel ſtark. Das hätte nun alles noch hingehen mögen, aber das Schlimmſte war, daß der Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/35>, abgerufen am 21.11.2024.