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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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haben: alle nach jenem Jahre geborenen Kinder sollen frei
sein, alle über sechzig Jahre alten Schwarzen ebenfalls. Aber
es fehlt jede Controle, die Gesetze werden von den Behörden
äußerst lax gehandhabt und nach allen Richtungen umgangen,
so daß in den zehn Jahren fast keine Wandelung in den früheren
Verhältnissen eingetreten ist; ja man behauptet, daß selbst noch
Tausende von Negern jährlich aus Afrika eingeführt werden,
obwol dies bei der scharfen Aufsicht, welche die Kreuzer der
Engländer an der afrikanischen Küste führen, kaum denkbar ist.
Nach officiellen Angaben sollen sich nur noch 250,000 Sclaven
auf der Insel befinden, doch ist das schwerlich richtig und die
obige Zahl wird zutreffender sein. Es giebt auf Cuba allein
über dreiundert mit Dampf betriebene Zuckerfabriken, deren jede
Hunderte von Sclaven hält. Wir besuchten eine derselben, auf
der man fünfhundert Neger hielt; in ihrer unmittelbaren Nachbar-
schaft arbeitete eine Fabrik mit der doppelten Anzahl. Auf beiden
befand sich nicht ein einziger freier Schwarzer; merkwürdiger
Weise waren selbst die Säuglinge vor 1870 geboren, und Neger
über 60 Jahre nicht vorhanden. An jene Fabriken reihen sich nun
noch alle mit Pferden oder Ochsen getriebenen Zuckermühlen alter
Art, von denen Tausende auf den kleinen Plantagen existiren,
auch der Tabaksbau, die im großen Maßstabe getriebene Viehzucht
und die sonstige Plantagenwirthschaft beschäftigt viele Neger, also
wird die Zahl 600,000 nicht zu hoch gegriffen sein. Außer-
dem sind seit 1870 Tausende von chinesischen Kulis als soge-
nannte freie Arbeiter eingeführt, da jedoch darüber ebenfalls
jede staatliche Controle fehlt oder vernachlässigt wird, so ist der
Kulihandel nur eine andere Form der Sclaverei. Wie wir uns
durch den Augenschein überzeugten, ist das Loos der Chinesen
um kein Haar besser als das der Neger. Achtzehn bis zwanzig
Stunden harte Arbeit während der Zuckercampagne -- so un-
glaublich das auch klingen mag -- bei rücksichtslosem Gebrauch der
Peitsche und eigener wenn auch ungesetzlicher Gerichtsbarkeit der

Werner
haben: alle nach jenem Jahre geborenen Kinder ſollen frei
ſein, alle über ſechzig Jahre alten Schwarzen ebenfalls. Aber
es fehlt jede Controle, die Geſetze werden von den Behörden
äußerſt lax gehandhabt und nach allen Richtungen umgangen,
ſo daß in den zehn Jahren faſt keine Wandelung in den früheren
Verhältniſſen eingetreten iſt; ja man behauptet, daß ſelbſt noch
Tauſende von Negern jährlich aus Afrika eingeführt werden,
obwol dies bei der ſcharfen Aufſicht, welche die Kreuzer der
Engländer an der afrikaniſchen Küſte führen, kaum denkbar iſt.
Nach officiellen Angaben ſollen ſich nur noch 250,000 Sclaven
auf der Inſel befinden, doch iſt das ſchwerlich richtig und die
obige Zahl wird zutreffender ſein. Es giebt auf Cuba allein
über dreiundert mit Dampf betriebene Zuckerfabriken, deren jede
Hunderte von Sclaven hält. Wir beſuchten eine derſelben, auf
der man fünfhundert Neger hielt; in ihrer unmittelbaren Nachbar-
ſchaft arbeitete eine Fabrik mit der doppelten Anzahl. Auf beiden
befand ſich nicht ein einziger freier Schwarzer; merkwürdiger
Weiſe waren ſelbſt die Säuglinge vor 1870 geboren, und Neger
über 60 Jahre nicht vorhanden. An jene Fabriken reihen ſich nun
noch alle mit Pferden oder Ochſen getriebenen Zuckermühlen alter
Art, von denen Tauſende auf den kleinen Plantagen exiſtiren,
auch der Tabaksbau, die im großen Maßſtabe getriebene Viehzucht
und die ſonſtige Plantagenwirthſchaft beſchäftigt viele Neger, alſo
wird die Zahl 600,000 nicht zu hoch gegriffen ſein. Außer-
dem ſind ſeit 1870 Tauſende von chineſiſchen Kulis als ſoge-
nannte freie Arbeiter eingeführt, da jedoch darüber ebenfalls
jede ſtaatliche Controle fehlt oder vernachläſſigt wird, ſo iſt der
Kulihandel nur eine andere Form der Sclaverei. Wie wir uns
durch den Augenſchein überzeugten, iſt das Loos der Chineſen
um kein Haar beſſer als das der Neger. Achtzehn bis zwanzig
Stunden harte Arbeit während der Zuckercampagne — ſo un-
glaublich das auch klingen mag — bei rückſichtsloſem Gebrauch der
Peitſche und eigener wenn auch ungeſetzlicher Gerichtsbarkeit der

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[378/0390] Werner haben: alle nach jenem Jahre geborenen Kinder ſollen frei ſein, alle über ſechzig Jahre alten Schwarzen ebenfalls. Aber es fehlt jede Controle, die Geſetze werden von den Behörden äußerſt lax gehandhabt und nach allen Richtungen umgangen, ſo daß in den zehn Jahren faſt keine Wandelung in den früheren Verhältniſſen eingetreten iſt; ja man behauptet, daß ſelbſt noch Tauſende von Negern jährlich aus Afrika eingeführt werden, obwol dies bei der ſcharfen Aufſicht, welche die Kreuzer der Engländer an der afrikaniſchen Küſte führen, kaum denkbar iſt. Nach officiellen Angaben ſollen ſich nur noch 250,000 Sclaven auf der Inſel befinden, doch iſt das ſchwerlich richtig und die obige Zahl wird zutreffender ſein. Es giebt auf Cuba allein über dreiundert mit Dampf betriebene Zuckerfabriken, deren jede Hunderte von Sclaven hält. Wir beſuchten eine derſelben, auf der man fünfhundert Neger hielt; in ihrer unmittelbaren Nachbar- ſchaft arbeitete eine Fabrik mit der doppelten Anzahl. Auf beiden befand ſich nicht ein einziger freier Schwarzer; merkwürdiger Weiſe waren ſelbſt die Säuglinge vor 1870 geboren, und Neger über 60 Jahre nicht vorhanden. An jene Fabriken reihen ſich nun noch alle mit Pferden oder Ochſen getriebenen Zuckermühlen alter Art, von denen Tauſende auf den kleinen Plantagen exiſtiren, auch der Tabaksbau, die im großen Maßſtabe getriebene Viehzucht und die ſonſtige Plantagenwirthſchaft beſchäftigt viele Neger, alſo wird die Zahl 600,000 nicht zu hoch gegriffen ſein. Außer- dem ſind ſeit 1870 Tauſende von chineſiſchen Kulis als ſoge- nannte freie Arbeiter eingeführt, da jedoch darüber ebenfalls jede ſtaatliche Controle fehlt oder vernachläſſigt wird, ſo iſt der Kulihandel nur eine andere Form der Sclaverei. Wie wir uns durch den Augenſchein überzeugten, iſt das Loos der Chineſen um kein Haar beſſer als das der Neger. Achtzehn bis zwanzig Stunden harte Arbeit während der Zuckercampagne — ſo un- glaublich das auch klingen mag — bei rückſichtsloſem Gebrauch der Peitſche und eigener wenn auch ungeſetzlicher Gerichtsbarkeit der

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/390>, abgerufen am 23.11.2024.