der Rumpf, trotz der furchtbaren Anstrengung bei dem Abreiten des Sturmes, unter Wasser nicht gelitten hatte. Wir brauchten deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa- raturen erforderten doch eine Zeit von sechs Wochen und erst kurz vor Weihnacht konnten wir unsere Weiterreise antreten.
Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Interessantes in den Anlagen und Etablissements des großen holländischen Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienschiffe, neben denen unsere "Alma" wie ein Boot erschien. Der Sohn unseres Consuls, eines deutschen Kaufmanns, war Kadett auf einem derselben. Er kam eines Tages in Begleitung seines Vaters an Bord, um der Einladung unsers Kapitäns zu einem Frühstück Folge zu leisten. Bei dieser Gelegenheit redete er mich verschiedene Male an, um von mir Auskunft über den Verlauf des von uns verlebten schweren Wetters zu erhalten. Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich nicht zu der gewöhnlichen Klasse von Schiffsjungen gehörte und ihm an Bildung gleich stand, denn unsere Unterhaltung spann sich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander. Gleiches Alter, gleiche Anschauungen und Fachgenossenschaft ließen sehr bald eine gewisse Vertrautheit zwischen uns entstehen und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abschiede unsere junge Freundschaft. Trotzdem beschlich mich eine gewisse Bitter- keit, als ich ihn in seiner schmucken Uniform dahin gehen sah. Als ich mit jugendlicher Begeisterung mich für den seemännischen Beruf entschied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinschaft mit Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geistigen Kraft den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu besiegen, meine Wißbegierde im Anschauen und Studium fremder Welten zu befriedigen -- und wie ganz anders hatten sich die Sachen gestaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer
Eine erſte Seereiſe
der Rumpf, trotz der furchtbaren Anſtrengung bei dem Abreiten des Sturmes, unter Waſſer nicht gelitten hatte. Wir brauchten deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa- raturen erforderten doch eine Zeit von ſechs Wochen und erſt kurz vor Weihnacht konnten wir unſere Weiterreiſe antreten.
Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Intereſſantes in den Anlagen und Etabliſſements des großen holländiſchen Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienſchiffe, neben denen unſere „Alma“ wie ein Boot erſchien. Der Sohn unſeres Conſuls, eines deutſchen Kaufmanns, war Kadett auf einem derſelben. Er kam eines Tages in Begleitung ſeines Vaters an Bord, um der Einladung unſers Kapitäns zu einem Frühſtück Folge zu leiſten. Bei dieſer Gelegenheit redete er mich verſchiedene Male an, um von mir Auskunft über den Verlauf des von uns verlebten ſchweren Wetters zu erhalten. Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich nicht zu der gewöhnlichen Klaſſe von Schiffsjungen gehörte und ihm an Bildung gleich ſtand, denn unſere Unterhaltung ſpann ſich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander. Gleiches Alter, gleiche Anſchauungen und Fachgenoſſenſchaft ließen ſehr bald eine gewiſſe Vertrautheit zwiſchen uns entſtehen und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abſchiede unſere junge Freundſchaft. Trotzdem beſchlich mich eine gewiſſe Bitter- keit, als ich ihn in ſeiner ſchmucken Uniform dahin gehen ſah. Als ich mit jugendlicher Begeiſterung mich für den ſeemänniſchen Beruf entſchied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinſchaft mit Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geiſtigen Kraft den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu beſiegen, meine Wißbegierde im Anſchauen und Studium fremder Welten zu befriedigen — und wie ganz anders hatten ſich die Sachen geſtaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer
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Eine erſte Seereiſe
der Rumpf, trotz der furchtbaren Anſtrengung bei dem Abreiten
des Sturmes, unter Waſſer nicht gelitten hatte. Wir brauchten
deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa-
raturen erforderten doch eine Zeit von ſechs Wochen und erſt
kurz vor Weihnacht konnten wir unſere Weiterreiſe antreten.
Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Intereſſantes
in den Anlagen und Etabliſſements des großen holländiſchen
Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienſchiffe,
neben denen unſere „Alma“ wie ein Boot erſchien. Der Sohn
unſeres Conſuls, eines deutſchen Kaufmanns, war Kadett auf
einem derſelben. Er kam eines Tages in Begleitung ſeines
Vaters an Bord, um der Einladung unſers Kapitäns zu einem
Frühſtück Folge zu leiſten. Bei dieſer Gelegenheit redete er
mich verſchiedene Male an, um von mir Auskunft über den
Verlauf des von uns verlebten ſchweren Wetters zu erhalten.
Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich
nicht zu der gewöhnlichen Klaſſe von Schiffsjungen gehörte und
ihm an Bildung gleich ſtand, denn unſere Unterhaltung ſpann
ſich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander.
Gleiches Alter, gleiche Anſchauungen und Fachgenoſſenſchaft
ließen ſehr bald eine gewiſſe Vertrautheit zwiſchen uns entſtehen
und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abſchiede unſere
junge Freundſchaft. Trotzdem beſchlich mich eine gewiſſe Bitter-
keit, als ich ihn in ſeiner ſchmucken Uniform dahin gehen ſah.
Als ich mit jugendlicher Begeiſterung mich für den ſeemänniſchen
Beruf entſchied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern
und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie
jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinſchaft mit
Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geiſtigen Kraft
den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu
beſiegen, meine Wißbegierde im Anſchauen und Studium fremder
Welten zu befriedigen — und wie ganz anders hatten ſich die
Sachen geſtaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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