Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine erste Seereise

Das schöne Wetter brachte indessen bald alles wieder in
das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordostwind
übergegangen und wir hatten die Region des Passates erreicht,
die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur,
die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die
harten Mühen und Entbehrungen seines Lebens vergißt und in
welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint
hat, was das Meer aufweist. Kein Sturm, keine tückische
Hagelbö ist zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden
nicht durch den Nothruf "Reewe, reewe!" gestört, Nebel und
Finsterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar
schwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen
und zieht Wochenlang seine Bahn durch sie, ohne daß die
Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige
Briese stets aus derselben Richtung weht. Das Meer leuchtet
in dem schönsten tiefsten Blau, über ihm wölbt sich in lichter
Klarheit das Firmament und von keinem neidischen Gewölk ge-
trübt, sendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber
nicht sengend und verzehrend, sondern überall Leben spendend
und fördernd, durch den Wind und die Verdunstung des Wassers
gemäßigt und deshalb auch von den Menschen nur wohlthätig
empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der
Besatzung keinerlei außergewöhnliche Anstrengungen auf, wie in
den nordischen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages
rollt sich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich
nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als sonst, aber
sie ist nicht anstrengend und die Zeit schwindet schnell dabei.
Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord
so viel zu thun hat, und doch ist es in solchem Grade der Fall,
daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reise auch noch
so lange währen. Selbst aber, wenn nothwendige Arbeit nicht
vorliegt, muß aus Rücksichten der Disciplin irgend welche ge-

4*
Eine erſte Seereiſe

Das ſchöne Wetter brachte indeſſen bald alles wieder in
das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordoſtwind
übergegangen und wir hatten die Region des Paſſates erreicht,
die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur,
die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die
harten Mühen und Entbehrungen ſeines Lebens vergißt und in
welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint
hat, was das Meer aufweiſt. Kein Sturm, keine tückiſche
Hagelbö iſt zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden
nicht durch den Nothruf „Reewe, reewe!“ geſtört, Nebel und
Finſterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar
ſchwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen
und zieht Wochenlang ſeine Bahn durch ſie, ohne daß die
Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige
Brieſe ſtets aus derſelben Richtung weht. Das Meer leuchtet
in dem ſchönſten tiefſten Blau, über ihm wölbt ſich in lichter
Klarheit das Firmament und von keinem neidiſchen Gewölk ge-
trübt, ſendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber
nicht ſengend und verzehrend, ſondern überall Leben ſpendend
und fördernd, durch den Wind und die Verdunſtung des Waſſers
gemäßigt und deshalb auch von den Menſchen nur wohlthätig
empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der
Beſatzung keinerlei außergewöhnliche Anſtrengungen auf, wie in
den nordiſchen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages
rollt ſich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich
nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als ſonſt, aber
ſie iſt nicht anſtrengend und die Zeit ſchwindet ſchnell dabei.
Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord
ſo viel zu thun hat, und doch iſt es in ſolchem Grade der Fall,
daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reiſe auch noch
ſo lange währen. Selbſt aber, wenn nothwendige Arbeit nicht
vorliegt, muß aus Rückſichten der Disciplin irgend welche ge-

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0063" n="51"/>
        <fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
        <p>Das &#x017F;chöne Wetter brachte inde&#x017F;&#x017F;en bald alles wieder in<lb/>
das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordo&#x017F;twind<lb/>
übergegangen und wir hatten die Region des Pa&#x017F;&#x017F;ates erreicht,<lb/>
die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur,<lb/>
die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die<lb/>
harten Mühen und Entbehrungen &#x017F;eines Lebens vergißt und in<lb/>
welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint<lb/>
hat, was das Meer aufwei&#x017F;t. Kein Sturm, keine tücki&#x017F;che<lb/>
Hagelbö i&#x017F;t zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden<lb/>
nicht durch den Nothruf &#x201E;Reewe, reewe!&#x201C; ge&#x017F;tört, Nebel und<lb/>
Fin&#x017F;terniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar<lb/>
&#x017F;chwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen<lb/>
und zieht Wochenlang &#x017F;eine Bahn durch &#x017F;ie, ohne daß die<lb/>
Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige<lb/>
Brie&#x017F;e &#x017F;tets aus der&#x017F;elben Richtung weht. Das Meer leuchtet<lb/>
in dem &#x017F;chön&#x017F;ten tief&#x017F;ten Blau, über ihm wölbt &#x017F;ich in lichter<lb/>
Klarheit das Firmament und von keinem neidi&#x017F;chen Gewölk ge-<lb/>
trübt, &#x017F;endet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber<lb/>
nicht &#x017F;engend und verzehrend, &#x017F;ondern überall Leben &#x017F;pendend<lb/>
und fördernd, durch den Wind und die Verdun&#x017F;tung des Wa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
gemäßigt und deshalb auch von den Men&#x017F;chen nur wohlthätig<lb/>
empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der<lb/>
Be&#x017F;atzung keinerlei außergewöhnliche An&#x017F;trengungen auf, wie in<lb/>
den nordi&#x017F;chen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages<lb/>
rollt &#x017F;ich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich<lb/>
nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als &#x017F;on&#x017F;t, aber<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t nicht an&#x017F;trengend und die Zeit &#x017F;chwindet &#x017F;chnell dabei.<lb/>
Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord<lb/>
&#x017F;o viel zu thun hat, und doch i&#x017F;t es in &#x017F;olchem Grade der Fall,<lb/>
daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Rei&#x017F;e auch noch<lb/>
&#x017F;o lange währen. Selb&#x017F;t aber, wenn nothwendige Arbeit nicht<lb/>
vorliegt, muß aus Rück&#x017F;ichten der Disciplin irgend welche ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0063] Eine erſte Seereiſe Das ſchöne Wetter brachte indeſſen bald alles wieder in das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordoſtwind übergegangen und wir hatten die Region des Paſſates erreicht, die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur, die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die harten Mühen und Entbehrungen ſeines Lebens vergißt und in welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint hat, was das Meer aufweiſt. Kein Sturm, keine tückiſche Hagelbö iſt zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden nicht durch den Nothruf „Reewe, reewe!“ geſtört, Nebel und Finſterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar ſchwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen und zieht Wochenlang ſeine Bahn durch ſie, ohne daß die Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige Brieſe ſtets aus derſelben Richtung weht. Das Meer leuchtet in dem ſchönſten tiefſten Blau, über ihm wölbt ſich in lichter Klarheit das Firmament und von keinem neidiſchen Gewölk ge- trübt, ſendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber nicht ſengend und verzehrend, ſondern überall Leben ſpendend und fördernd, durch den Wind und die Verdunſtung des Waſſers gemäßigt und deshalb auch von den Menſchen nur wohlthätig empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der Beſatzung keinerlei außergewöhnliche Anſtrengungen auf, wie in den nordiſchen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages rollt ſich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als ſonſt, aber ſie iſt nicht anſtrengend und die Zeit ſchwindet ſchnell dabei. Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord ſo viel zu thun hat, und doch iſt es in ſolchem Grade der Fall, daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reiſe auch noch ſo lange währen. Selbſt aber, wenn nothwendige Arbeit nicht vorliegt, muß aus Rückſichten der Disciplin irgend welche ge- 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/63
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/63>, abgerufen am 21.11.2024.