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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
aber sie sind vorhanden und wenn sich die Religion des See-
mannes wenig im Aeußern und in seinen Worten zeigt, so ruht
sie tief im Innern seines Herzens und giebt sich in Thaten
kund, die einer edlen Gesinnung entstammen.

Daß diese Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter
von ihm überwuchert ist, erklärt sich ebenfalls leicht aus den
Verhältnissen und ist viel eher zu entschuldigen, als bei anderen
Klassen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen
und Dittrichswalde so viele Tausende von intelligenten Gläubigen
finden, wenn der Spiritismus in den höchsten Klassen der Ge-
sellschaft seine Triumphe feiert, darf man dem Matrosen gewiß
keinen Vorwurf daraus machen, wenn sein ungeschulter Geist
gewisse Wirkungen übernatürlichen Ursachen zuschreibt. Bei seinen
vielen und weiten Reisen hat er so viel Wunderbares gesehen
und erlebt, für das ihm seine geringe geistige Entwickelung keine
Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart sich ihm in so
großem Styl und unter so ungewöhnlichen Verhältnissen; er erblickt
räthselhafte Erscheinungen, er hört Geräusche und fühlt Einflüsse,
von denen er sich auf einfache Weise keine Rechenschaft zu geben
vermag -- da ist es nur natürlich, daß solche Wahrnehmungen
dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matrose das Segeln
am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electrischen
Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen
Schein die eisenbeschlagenen Spitzen der Masten und Raaen
Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden
erblickt und auf die Existenz des Klabautermann schwört.

Doch andrerseits wieder gewinnt dieser Aberglaube
nie so viel Gewalt über ihn, um ihn seiner Pflicht untreu
werden zu lassen. Er bleibt bei alledem practisch und ein
Axiom seiner Religion ist "hilf dir selbst, so wird Gott
dir helfen". Er vertraut auf die Vorsehung, aber auch auf
Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an
die Erscheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt,

Eine erſte Seereiſe
aber ſie ſind vorhanden und wenn ſich die Religion des See-
mannes wenig im Aeußern und in ſeinen Worten zeigt, ſo ruht
ſie tief im Innern ſeines Herzens und giebt ſich in Thaten
kund, die einer edlen Geſinnung entſtammen.

Daß dieſe Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter
von ihm überwuchert iſt, erklärt ſich ebenfalls leicht aus den
Verhältniſſen und iſt viel eher zu entſchuldigen, als bei anderen
Klaſſen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen
und Dittrichswalde ſo viele Tauſende von intelligenten Gläubigen
finden, wenn der Spiritismus in den höchſten Klaſſen der Ge-
ſellſchaft ſeine Triumphe feiert, darf man dem Matroſen gewiß
keinen Vorwurf daraus machen, wenn ſein ungeſchulter Geiſt
gewiſſe Wirkungen übernatürlichen Urſachen zuſchreibt. Bei ſeinen
vielen und weiten Reiſen hat er ſo viel Wunderbares geſehen
und erlebt, für das ihm ſeine geringe geiſtige Entwickelung keine
Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart ſich ihm in ſo
großem Styl und unter ſo ungewöhnlichen Verhältniſſen; er erblickt
räthſelhafte Erſcheinungen, er hört Geräuſche und fühlt Einflüſſe,
von denen er ſich auf einfache Weiſe keine Rechenſchaft zu geben
vermag — da iſt es nur natürlich, daß ſolche Wahrnehmungen
dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matroſe das Segeln
am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electriſchen
Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen
Schein die eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen
Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden
erblickt und auf die Exiſtenz des Klabautermann ſchwört.

Doch andrerſeits wieder gewinnt dieſer Aberglaube
nie ſo viel Gewalt über ihn, um ihn ſeiner Pflicht untreu
werden zu laſſen. Er bleibt bei alledem practiſch und ein
Axiom ſeiner Religion iſt „hilf dir ſelbſt, ſo wird Gott
dir helfen“. Er vertraut auf die Vorſehung, aber auch auf
Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an
die Erſcheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt,

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[57/0069] Eine erſte Seereiſe aber ſie ſind vorhanden und wenn ſich die Religion des See- mannes wenig im Aeußern und in ſeinen Worten zeigt, ſo ruht ſie tief im Innern ſeines Herzens und giebt ſich in Thaten kund, die einer edlen Geſinnung entſtammen. Daß dieſe Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter von ihm überwuchert iſt, erklärt ſich ebenfalls leicht aus den Verhältniſſen und iſt viel eher zu entſchuldigen, als bei anderen Klaſſen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen und Dittrichswalde ſo viele Tauſende von intelligenten Gläubigen finden, wenn der Spiritismus in den höchſten Klaſſen der Ge- ſellſchaft ſeine Triumphe feiert, darf man dem Matroſen gewiß keinen Vorwurf daraus machen, wenn ſein ungeſchulter Geiſt gewiſſe Wirkungen übernatürlichen Urſachen zuſchreibt. Bei ſeinen vielen und weiten Reiſen hat er ſo viel Wunderbares geſehen und erlebt, für das ihm ſeine geringe geiſtige Entwickelung keine Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart ſich ihm in ſo großem Styl und unter ſo ungewöhnlichen Verhältniſſen; er erblickt räthſelhafte Erſcheinungen, er hört Geräuſche und fühlt Einflüſſe, von denen er ſich auf einfache Weiſe keine Rechenſchaft zu geben vermag — da iſt es nur natürlich, daß ſolche Wahrnehmungen dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matroſe das Segeln am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electriſchen Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen Schein die eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden erblickt und auf die Exiſtenz des Klabautermann ſchwört. Doch andrerſeits wieder gewinnt dieſer Aberglaube nie ſo viel Gewalt über ihn, um ihn ſeiner Pflicht untreu werden zu laſſen. Er bleibt bei alledem practiſch und ein Axiom ſeiner Religion iſt „hilf dir ſelbſt, ſo wird Gott dir helfen“. Er vertraut auf die Vorſehung, aber auch auf Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an die Erſcheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt,

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/69>, abgerufen am 21.11.2024.