das damit unvermeidlich seinem Schiffe droht, so legt er des- wegen nicht trübselig die Hände in den Schooß, sondern gebraucht bis zum letzten Augenblick seine Kräfte, um das Unglück abzuwenden, und einen solchen Aberglauben kann man sich dann schon gefallen lassen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere.
Wie sich Gegensätze oft im Leben berühren, so findet das auch im Bordleben statt. Wenn mich da draußen auf der Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetischer Hauch umwehte und ich, geistig losgelöst von meiner Umgebung, nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim Wiederbetreten des Decks oft unsanft in die rauhe Prosa des täglichen Lebens zurückgeführt. Zu solcher Prosa und zwar zu einer sehr schmutzigen gehört auch das "Labsalben", das Theeren sämmtlichen stehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche wie Wanten, Pardunen, Stagen etc. zum Halten der Masten und Stengen bestimmt und straff gespannt sind, während als Gegensatz das laufende Tauwerk beweglich ist und vorzugsweise zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conservirt die Takelage gegen Witterungseinflüsse; die Operation des Labsalbens wird auf längeren Reiserouten etwa alle sechs Monate vollzogen und zwar vorzugsweise in den Passatgegenden, wo die Witterung dauernd gut ist. Den jüngeren Mannschaften fällt dabei natür- lich, wie überall, die unangenehmste Aufgabe, das Einschmieren der Stage zu, die von den Toppen der Masten und Stengen schräg nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze Vorgeschirr, d. h. das größte Pensum, das mich mehrere Tage in Anspruch nahm. Ein Besenstiel oder ein ähnlicher Holz- knüttel hing in Tauen und bildete für den Labsalbenden den Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife so an dem Stag befestigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte. Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironisch "Boots- mannsstuhl" genannte Sitz an das obere Ende des Stags gezogen, man setzte sich hinein und wurde je nachdem die Arbeit
Werner
das damit unvermeidlich ſeinem Schiffe droht, ſo legt er des- wegen nicht trübſelig die Hände in den Schooß, ſondern gebraucht bis zum letzten Augenblick ſeine Kräfte, um das Unglück abzuwenden, und einen ſolchen Aberglauben kann man ſich dann ſchon gefallen laſſen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere.
Wie ſich Gegenſätze oft im Leben berühren, ſo findet das auch im Bordleben ſtatt. Wenn mich da draußen auf der Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetiſcher Hauch umwehte und ich, geiſtig losgelöſt von meiner Umgebung, nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim Wiederbetreten des Decks oft unſanft in die rauhe Proſa des täglichen Lebens zurückgeführt. Zu ſolcher Proſa und zwar zu einer ſehr ſchmutzigen gehört auch das „Labſalben“, das Theeren ſämmtlichen ſtehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche wie Wanten, Pardunen, Stagen ꝛc. zum Halten der Maſten und Stengen beſtimmt und ſtraff geſpannt ſind, während als Gegenſatz das laufende Tauwerk beweglich iſt und vorzugsweiſe zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conſervirt die Takelage gegen Witterungseinflüſſe; die Operation des Labſalbens wird auf längeren Reiſerouten etwa alle ſechs Monate vollzogen und zwar vorzugsweiſe in den Paſſatgegenden, wo die Witterung dauernd gut iſt. Den jüngeren Mannſchaften fällt dabei natür- lich, wie überall, die unangenehmſte Aufgabe, das Einſchmieren der Stage zu, die von den Toppen der Maſten und Stengen ſchräg nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze Vorgeſchirr, d. h. das größte Penſum, das mich mehrere Tage in Anſpruch nahm. Ein Beſenſtiel oder ein ähnlicher Holz- knüttel hing in Tauen und bildete für den Labſalbenden den Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife ſo an dem Stag befeſtigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte. Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironiſch „Boots- mannsſtuhl“ genannte Sitz an das obere Ende des Stags gezogen, man ſetzte ſich hinein und wurde je nachdem die Arbeit
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[58/0070]
Werner
das damit unvermeidlich ſeinem Schiffe droht, ſo legt er des-
wegen nicht trübſelig die Hände in den Schooß, ſondern gebraucht
bis zum letzten Augenblick ſeine Kräfte, um das Unglück abzuwenden,
und einen ſolchen Aberglauben kann man ſich dann ſchon gefallen
laſſen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere.
Wie ſich Gegenſätze oft im Leben berühren, ſo findet das
auch im Bordleben ſtatt. Wenn mich da draußen auf der
Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetiſcher
Hauch umwehte und ich, geiſtig losgelöſt von meiner Umgebung,
nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim
Wiederbetreten des Decks oft unſanft in die rauhe Proſa des
täglichen Lebens zurückgeführt. Zu ſolcher Proſa und zwar zu
einer ſehr ſchmutzigen gehört auch das „Labſalben“, das Theeren
ſämmtlichen ſtehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche
wie Wanten, Pardunen, Stagen ꝛc. zum Halten der Maſten
und Stengen beſtimmt und ſtraff geſpannt ſind, während als
Gegenſatz das laufende Tauwerk beweglich iſt und vorzugsweiſe
zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conſervirt die
Takelage gegen Witterungseinflüſſe; die Operation des Labſalbens
wird auf längeren Reiſerouten etwa alle ſechs Monate vollzogen und
zwar vorzugsweiſe in den Paſſatgegenden, wo die Witterung
dauernd gut iſt. Den jüngeren Mannſchaften fällt dabei natür-
lich, wie überall, die unangenehmſte Aufgabe, das Einſchmieren
der Stage zu, die von den Toppen der Maſten und Stengen ſchräg
nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze
Vorgeſchirr, d. h. das größte Penſum, das mich mehrere Tage
in Anſpruch nahm. Ein Beſenſtiel oder ein ähnlicher Holz-
knüttel hing in Tauen und bildete für den Labſalbenden den
Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife ſo an dem Stag
befeſtigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte.
Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironiſch „Boots-
mannsſtuhl“ genannte Sitz an das obere Ende des Stags
gezogen, man ſetzte ſich hinein und wurde je nachdem die Arbeit
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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