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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
fortschritt, allmälig hinunter gelassen. Das Handwerkszeug waren
ein Eimer voll Theer, der seitwärts am Bootsmannsstuhl hing
und ein Büschel Werg, mit dem man schmierte. Da hing man
denn hoch oben zwischen Wind und Wasser, wie der Dieb am
Galgen und suchte seine Arbeit so gut wie möglich zu machen.
Wie auf dem Außenklüverbaum schwebte ich auch hier losgelöst
von meiner Umgebung, aber zu poetischen Träumen war beim
"Labsalben" keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerksamkeit
auf den flüssigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer-
seits keine freien Stellen, sogenannte Feiertage, ließ und andrer-
seits nicht Theer auf das Deck verschüttete. Für beides hatte
unser Bootsmann ein gutes Auge, und so vortrefflich ich auch
mit ihm stand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges
Hinunterreiten am Stag und Abschaben der Theerflecke während
meiner Freiwache ersparen. Daß trotzdem einzelne solche Flecken
unvermeidlich waren, erklärt sich aus der Situation, über hundert
Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen,
aber die meisten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen
Körper auf und wenn irgendwo, so ist der landläufige Ausdruck
"Theerjacke" für Matrosen beim Labsalben zutreffend. Wie
sah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie schwer war
es, sich wieder zu reinigen!

Das Hauptreinigungsmaterial bestand in altem Fett, das
der Koch vom Salzfleich abschäumt und das an Bord gesammelt
wird, um die Stengen einzuschmieren, damit die Raaen an
ihnen gut auf- und niedergleiten. Damit ließ sich denn auch
das Gröbste entfernen, aber die ätzende Flüssigkeit fraß sich so
in die Hände ein, daß sie vollständig dunkelbraun erschienen
und es Wochen dauerte, bis sie allmälig ihre natürliche Farbe
wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Wasser und
Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend schneller von Statten
gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei-
schiffen, welche lange Reisen machten, ein Luxus, nach dem man

Eine erſte Seereiſe
fortſchritt, allmälig hinunter gelaſſen. Das Handwerkszeug waren
ein Eimer voll Theer, der ſeitwärts am Bootsmannsſtuhl hing
und ein Büſchel Werg, mit dem man ſchmierte. Da hing man
denn hoch oben zwiſchen Wind und Waſſer, wie der Dieb am
Galgen und ſuchte ſeine Arbeit ſo gut wie möglich zu machen.
Wie auf dem Außenklüverbaum ſchwebte ich auch hier losgelöſt
von meiner Umgebung, aber zu poetiſchen Träumen war beim
„Labſalben“ keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerkſamkeit
auf den flüſſigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer-
ſeits keine freien Stellen, ſogenannte Feiertage, ließ und andrer-
ſeits nicht Theer auf das Deck verſchüttete. Für beides hatte
unſer Bootsmann ein gutes Auge, und ſo vortrefflich ich auch
mit ihm ſtand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges
Hinunterreiten am Stag und Abſchaben der Theerflecke während
meiner Freiwache erſparen. Daß trotzdem einzelne ſolche Flecken
unvermeidlich waren, erklärt ſich aus der Situation, über hundert
Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen,
aber die meiſten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen
Körper auf und wenn irgendwo, ſo iſt der landläufige Ausdruck
„Theerjacke“ für Matroſen beim Labſalben zutreffend. Wie
ſah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie ſchwer war
es, ſich wieder zu reinigen!

Das Hauptreinigungsmaterial beſtand in altem Fett, das
der Koch vom Salzfleich abſchäumt und das an Bord geſammelt
wird, um die Stengen einzuſchmieren, damit die Raaen an
ihnen gut auf- und niedergleiten. Damit ließ ſich denn auch
das Gröbſte entfernen, aber die ätzende Flüſſigkeit fraß ſich ſo
in die Hände ein, daß ſie vollſtändig dunkelbraun erſchienen
und es Wochen dauerte, bis ſie allmälig ihre natürliche Farbe
wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Waſſer und
Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend ſchneller von Statten
gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei-
ſchiffen, welche lange Reiſen machten, ein Luxus, nach dem man

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[59/0071] Eine erſte Seereiſe fortſchritt, allmälig hinunter gelaſſen. Das Handwerkszeug waren ein Eimer voll Theer, der ſeitwärts am Bootsmannsſtuhl hing und ein Büſchel Werg, mit dem man ſchmierte. Da hing man denn hoch oben zwiſchen Wind und Waſſer, wie der Dieb am Galgen und ſuchte ſeine Arbeit ſo gut wie möglich zu machen. Wie auf dem Außenklüverbaum ſchwebte ich auch hier losgelöſt von meiner Umgebung, aber zu poetiſchen Träumen war beim „Labſalben“ keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerkſamkeit auf den flüſſigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer- ſeits keine freien Stellen, ſogenannte Feiertage, ließ und andrer- ſeits nicht Theer auf das Deck verſchüttete. Für beides hatte unſer Bootsmann ein gutes Auge, und ſo vortrefflich ich auch mit ihm ſtand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges Hinunterreiten am Stag und Abſchaben der Theerflecke während meiner Freiwache erſparen. Daß trotzdem einzelne ſolche Flecken unvermeidlich waren, erklärt ſich aus der Situation, über hundert Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen, aber die meiſten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen Körper auf und wenn irgendwo, ſo iſt der landläufige Ausdruck „Theerjacke“ für Matroſen beim Labſalben zutreffend. Wie ſah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie ſchwer war es, ſich wieder zu reinigen! Das Hauptreinigungsmaterial beſtand in altem Fett, das der Koch vom Salzfleich abſchäumt und das an Bord geſammelt wird, um die Stengen einzuſchmieren, damit die Raaen an ihnen gut auf- und niedergleiten. Damit ließ ſich denn auch das Gröbſte entfernen, aber die ätzende Flüſſigkeit fraß ſich ſo in die Hände ein, daß ſie vollſtändig dunkelbraun erſchienen und es Wochen dauerte, bis ſie allmälig ihre natürliche Farbe wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Waſſer und Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend ſchneller von Statten gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei- ſchiffen, welche lange Reiſen machten, ein Luxus, nach dem man

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/71>, abgerufen am 21.11.2024.