kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß so wenig, wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben so gut könnte man freilich auch sagen, gezwungen) Qualen des Durstes.
Wie schon erwähnt, befanden sich, um Ladungsraum zu ersparen, die meisten Wasserfässer auf Deck und nur etwa sechs bis acht Pipen, die einen Reservevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen war, daß eine Sturzsee auf dem Deck tabula rasa machte und sie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewiesen, in denen sich aber durch die Einwirkung der Tropensonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Wasser nur zu genießen, wenn wir es vor Durst nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geschlossenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, sondern gradezu schleimig, zog Fäden und roch schrecklich nach Schwefelwasserstoffgas. Als ich zum ersten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durst erwies sich als der Stärkere; die unappetitliche Flüssigkeit blieb schließlich im Magen. Merkwürdig genug be- nachtheiligte das offenbar faule Wasser unsere Gesundheit nicht im geringsten. Würde man in den Tropen dergleichen Wasser am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja selbst nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, so würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöses Fieber einschlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall gewesen, obwohl dort ganz die- selben Verhältnisse obwalteten. Dieser Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann sanken die davon ergriffenen vege- tabilischen Stoffe allmälig zu Boden, das Wasser klärte sich und der Geruch verschwand. Eine Menge kleiner Thierchen
Eine erſte Seereiſe
kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen, gezwungen) Qualen des Durſtes.
Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be- nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die- ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege- tabiliſchen Stoffe allmälig zu Boden, das Waſſer klärte ſich und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen
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Eine erſte Seereiſe
kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man
trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte
und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen,
gezwungen) Qualen des Durſtes.
Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu
erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs
bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat
bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen
Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht
ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa
machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit
waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch
die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der
uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor
Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit
geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht
nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch
ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male
davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben,
aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche
Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be-
nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht
im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer
am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur
fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der
Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber
einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde
von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es
auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die-
ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte
etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege-
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und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/73>, abgerufen am 21.11.2024.
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