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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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erregte das Erscheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim-
liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war,
zeigten wir unsere Flagge, aber die internationale Höflichkeit
wurde auffälliger Weise nicht erwidert, während das Schiff
dagegen seinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als
sein Rumpf aus dem Wasser herauswuchs, wir die schlanken
scharfen Formen des schwarz gemalten niedrigen Unterschiffes,
die hängenden Masten mit den ungemein breiten Raaen des
Fahrzeugs unterschieden und bemerkten, mit welcher schnellen
Fahrt die Brigg durch das Wasser schnitt, da wußten wir, daß
wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, sondern mit einem
von der Guineaküste kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten.
Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwischen Westindien
und Afrika noch sehr stark im Schwange. Die Engländer
hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meistens noch Segelschiffe,
die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenschiffen
im Laufen nicht gewachsen waren und deshalb dem Handel nur
wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich so stark
bemannt und bewaffnet und die Besatzung bestand aus so ver-
zweifelten Kerlen, daß sie auch wohl mit den sie verfolgenden
Kriegsschiffen den Kampf aufnahmen, wenn sie nicht entfliehen
konnten. Nicht selten hörte man noch vor 40 Jahren von
solchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren
gezogen, und ebenso schrieb man das öftere spurlose Verschwinden
von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu,
die auch keineswegs vor Seeraub zurückschreckten.

Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die
verdächtige Brigg so direct auf uns zusteuerte, um so mehr,
als der Kapitän zuerst mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit
Menschen angefüllt gesehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen
Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug
eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man sie bei portugiesischen
und spanischen Matrosen häufig findet und auch der ganze

Werner
erregte das Erſcheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim-
liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war,
zeigten wir unſere Flagge, aber die internationale Höflichkeit
wurde auffälliger Weiſe nicht erwidert, während das Schiff
dagegen ſeinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als
ſein Rumpf aus dem Waſſer herauswuchs, wir die ſchlanken
ſcharfen Formen des ſchwarz gemalten niedrigen Unterſchiffes,
die hängenden Maſten mit den ungemein breiten Raaen des
Fahrzeugs unterſchieden und bemerkten, mit welcher ſchnellen
Fahrt die Brigg durch das Waſſer ſchnitt, da wußten wir, daß
wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, ſondern mit einem
von der Guineaküſte kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten.
Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwiſchen Weſtindien
und Afrika noch ſehr ſtark im Schwange. Die Engländer
hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meiſtens noch Segelſchiffe,
die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenſchiffen
im Laufen nicht gewachſen waren und deshalb dem Handel nur
wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich ſo ſtark
bemannt und bewaffnet und die Beſatzung beſtand aus ſo ver-
zweifelten Kerlen, daß ſie auch wohl mit den ſie verfolgenden
Kriegsſchiffen den Kampf aufnahmen, wenn ſie nicht entfliehen
konnten. Nicht ſelten hörte man noch vor 40 Jahren von
ſolchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren
gezogen, und ebenſo ſchrieb man das öftere ſpurloſe Verſchwinden
von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu,
die auch keineswegs vor Seeraub zurückſchreckten.

Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die
verdächtige Brigg ſo direct auf uns zuſteuerte, um ſo mehr,
als der Kapitän zuerſt mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit
Menſchen angefüllt geſehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen
Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug
eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man ſie bei portugieſiſchen
und ſpaniſchen Matroſen häufig findet und auch der ganze

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[72/0084] Werner erregte das Erſcheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim- liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war, zeigten wir unſere Flagge, aber die internationale Höflichkeit wurde auffälliger Weiſe nicht erwidert, während das Schiff dagegen ſeinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als ſein Rumpf aus dem Waſſer herauswuchs, wir die ſchlanken ſcharfen Formen des ſchwarz gemalten niedrigen Unterſchiffes, die hängenden Maſten mit den ungemein breiten Raaen des Fahrzeugs unterſchieden und bemerkten, mit welcher ſchnellen Fahrt die Brigg durch das Waſſer ſchnitt, da wußten wir, daß wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, ſondern mit einem von der Guineaküſte kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten. Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwiſchen Weſtindien und Afrika noch ſehr ſtark im Schwange. Die Engländer hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meiſtens noch Segelſchiffe, die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenſchiffen im Laufen nicht gewachſen waren und deshalb dem Handel nur wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich ſo ſtark bemannt und bewaffnet und die Beſatzung beſtand aus ſo ver- zweifelten Kerlen, daß ſie auch wohl mit den ſie verfolgenden Kriegsſchiffen den Kampf aufnahmen, wenn ſie nicht entfliehen konnten. Nicht ſelten hörte man noch vor 40 Jahren von ſolchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren gezogen, und ebenſo ſchrieb man das öftere ſpurloſe Verſchwinden von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu, die auch keineswegs vor Seeraub zurückſchreckten. Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die verdächtige Brigg ſo direct auf uns zuſteuerte, um ſo mehr, als der Kapitän zuerſt mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit Menſchen angefüllt geſehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man ſie bei portugieſiſchen und ſpaniſchen Matroſen häufig findet und auch der ganze

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/84>, abgerufen am 21.11.2024.