Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.Eine erste Seereise Richtungen als Mann zeige und von diesem Gefühle ist derSeemann so durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich- keit meistens zu streng auffaßt. In dieser Anschauung glaubt er alle sanfteren Regungen in seinem Innersten verschließen zu müssen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender Todesgefahr als einen Scherz anzusehen, körperliche Verletzungen als Bagatellen unbeachtet zu lassen, kein Mitleiden, nicht ein- mal zu Kranken zu äußern und selbst krank, sich so lange hin- zuschleppen und seine Arbeit zu thun, bis er thatsächlich zu- sammenbricht und selbst der energische Wille die fehlenden Kräfte nicht mehr zu ersetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verspottet er als weibische Schwäche und wie er dem nach seiner Ansicht vollkommenen Manne den das höchste Lob spendenden Beinamen "fixer Kerl" beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll "altes Weib". Dieselbe übertriebene Auslegung des Begriffes "Mann" veranlaßt ihn oft den schwierigeren Weg zum Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloser zu Gebote steht, mit seine Kräfte fast übersteigender Anstrengung eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verschmähung vorhandener und gebotener Hülfe so viel leichter hätte bewältigen können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars schräg nach unten halten, außen herum in die letztere, während er viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus zu gehen und sich mit den Händen festzuhalten, sieht man ihn oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen Seiltänzer oben auf den Raaen selbst hinauslaufen, obwohl ihm bei dem leisesten Fehltritt ein Sturz von oben droht und statt die Strickleitern in den Wanten* zu benutzen, rutscht er an den Pardunen** oder anderen einzelnen Tauen hinunter. * Haltetaue der Masten. ** Haltetaue der Stengen.
Eine erſte Seereiſe Richtungen als Mann zeige und von dieſem Gefühle iſt derSeemann ſo durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich- keit meiſtens zu ſtreng auffaßt. In dieſer Anſchauung glaubt er alle ſanfteren Regungen in ſeinem Innerſten verſchließen zu müſſen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender Todesgefahr als einen Scherz anzuſehen, körperliche Verletzungen als Bagatellen unbeachtet zu laſſen, kein Mitleiden, nicht ein- mal zu Kranken zu äußern und ſelbſt krank, ſich ſo lange hin- zuſchleppen und ſeine Arbeit zu thun, bis er thatſächlich zu- ſammenbricht und ſelbſt der energiſche Wille die fehlenden Kräfte nicht mehr zu erſetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verſpottet er als weibiſche Schwäche und wie er dem nach ſeiner Anſicht vollkommenen Manne den das höchſte Lob ſpendenden Beinamen „fixer Kerl“ beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll „altes Weib“. Dieſelbe übertriebene Auslegung des Begriffes „Mann“ veranlaßt ihn oft den ſchwierigeren Weg zum Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloſer zu Gebote ſteht, mit ſeine Kräfte faſt überſteigender Anſtrengung eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verſchmähung vorhandener und gebotener Hülfe ſo viel leichter hätte bewältigen können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars ſchräg nach unten halten, außen herum in die letztere, während er viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus zu gehen und ſich mit den Händen feſtzuhalten, ſieht man ihn oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen Seiltänzer oben auf den Raaen ſelbſt hinauslaufen, obwohl ihm bei dem leiſeſten Fehltritt ein Sturz von oben droht und ſtatt die Strickleitern in den Wanten* zu benutzen, rutſcht er an den Pardunen** oder anderen einzelnen Tauen hinunter. * Haltetaue der Maſten. ** Haltetaue der Stengen.
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Eine erſte Seereiſe
Richtungen als Mann zeige und von dieſem Gefühle iſt der
Seemann ſo durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich-
keit meiſtens zu ſtreng auffaßt. In dieſer Anſchauung glaubt
er alle ſanfteren Regungen in ſeinem Innerſten verſchließen zu
müſſen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender
Todesgefahr als einen Scherz anzuſehen, körperliche Verletzungen
als Bagatellen unbeachtet zu laſſen, kein Mitleiden, nicht ein-
mal zu Kranken zu äußern und ſelbſt krank, ſich ſo lange hin-
zuſchleppen und ſeine Arbeit zu thun, bis er thatſächlich zu-
ſammenbricht und ſelbſt der energiſche Wille die fehlenden Kräfte
nicht mehr zu erſetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verſpottet
er als weibiſche Schwäche und wie er dem nach ſeiner Anſicht
vollkommenen Manne den das höchſte Lob ſpendenden Beinamen
„fixer Kerl“ beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll
„altes Weib“. Dieſelbe übertriebene Auslegung des Begriffes
„Mann“ veranlaßt ihn oft den ſchwierigeren Weg zum
Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloſer zu
Gebote ſteht, mit ſeine Kräfte faſt überſteigender Anſtrengung
eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verſchmähung
vorhandener und gebotener Hülfe ſo viel leichter hätte bewältigen
können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den
Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars ſchräg
nach unten halten, außen herum in die letztere, während er
viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben
dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus
zu gehen und ſich mit den Händen feſtzuhalten, ſieht man ihn
oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen
Seiltänzer oben auf den Raaen ſelbſt hinauslaufen, obwohl ihm
bei dem leiſeſten Fehltritt ein Sturz von oben droht und ſtatt
die Strickleitern in den Wanten * zu benutzen, rutſcht er an den
Pardunen ** oder anderen einzelnen Tauen hinunter.
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