geringen Mannschaft aber verhältnißmäßig langsam ging, so passirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überrascht wurden und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren.
Namentlich Nachts waren solche Böen sehr unwillkommen und schaurig. Ich erinnere mich noch einer derselben, die von allen Schrecken eines tropischen Gewitters begleitet war.
Unsere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck. Der Regen hatte seit kurzem aufgehört, es war todtenstill, aber so finster, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter- scheiden vermochte und wir wie Blinde unsern Weg tappen mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorsicht schon geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt schwer an Stengen und Masten nieder. Die See war so merkwürdig ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos auf dem Wasser lag; dann rollten ein paar Wellen heran und die nassen Segel schlugen mit lautem Krachen gegen die Masten, um gleich darauf wieder eben so ruhig und unbewegt hernieder zu hängen. Die unheimliche Stille lastete in Verbindung mit der schwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Untersteuermann ließ alle größeren Segel fortnehmen, die Marssegel herunterführen und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte verkleinern, um auf Alles gefaßt zu sein, doch das ganze Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei solchen Gelegenheiten stets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen, aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die schwere Luft den Schall nieder und gegen die Verschanzung drückte. Die beiden Bramsegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab den Befehl, sie fest zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf- geschickt, während ein Leichtmatrose das Vorbramsegel beschlagen sollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe
Werner
geringen Mannſchaft aber verhältnißmäßig langſam ging, ſo paſſirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überraſcht wurden und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren.
Namentlich Nachts waren ſolche Böen ſehr unwillkommen und ſchaurig. Ich erinnere mich noch einer derſelben, die von allen Schrecken eines tropiſchen Gewitters begleitet war.
Unſere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck. Der Regen hatte ſeit kurzem aufgehört, es war todtenſtill, aber ſo finſter, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter- ſcheiden vermochte und wir wie Blinde unſern Weg tappen mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorſicht ſchon geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt ſchwer an Stengen und Maſten nieder. Die See war ſo merkwürdig ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos auf dem Waſſer lag; dann rollten ein paar Wellen heran und die naſſen Segel ſchlugen mit lautem Krachen gegen die Maſten, um gleich darauf wieder eben ſo ruhig und unbewegt hernieder zu hängen. Die unheimliche Stille laſtete in Verbindung mit der ſchwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Unterſteuermann ließ alle größeren Segel fortnehmen, die Marsſegel herunterführen und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte verkleinern, um auf Alles gefaßt zu ſein, doch das ganze Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei ſolchen Gelegenheiten ſtets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen, aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die ſchwere Luft den Schall nieder und gegen die Verſchanzung drückte. Die beiden Bramſegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab den Befehl, ſie feſt zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf- geſchickt, während ein Leichtmatroſe das Vorbramſegel beſchlagen ſollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe
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Werner
geringen Mannſchaft aber verhältnißmäßig langſam ging, ſo
paſſirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überraſcht wurden
und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen
Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren.
Namentlich Nachts waren ſolche Böen ſehr unwillkommen
und ſchaurig. Ich erinnere mich noch einer derſelben, die von
allen Schrecken eines tropiſchen Gewitters begleitet war.
Unſere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck.
Der Regen hatte ſeit kurzem aufgehört, es war todtenſtill, aber
ſo finſter, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter-
ſcheiden vermochte und wir wie Blinde unſern Weg tappen
mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorſicht ſchon
geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt ſchwer an
Stengen und Maſten nieder. Die See war ſo merkwürdig
ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos
auf dem Waſſer lag; dann rollten ein paar Wellen heran und
die naſſen Segel ſchlugen mit lautem Krachen gegen die Maſten,
um gleich darauf wieder eben ſo ruhig und unbewegt hernieder
zu hängen. Die unheimliche Stille laſtete in Verbindung mit
der ſchwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob
etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Unterſteuermann ließ
alle größeren Segel fortnehmen, die Marsſegel herunterführen
und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte
verkleinern, um auf Alles gefaßt zu ſein, doch das ganze
Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei ſolchen
Gelegenheiten ſtets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän
war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen,
aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die ſchwere
Luft den Schall nieder und gegen die Verſchanzung drückte.
Die beiden Bramſegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab
den Befehl, ſie feſt zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf-
geſchickt, während ein Leichtmatroſe das Vorbramſegel beſchlagen
ſollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/94>, abgerufen am 21.11.2024.
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