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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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Bewegungsvorstellung F und die spontane Bewegung selbst auf
der centrifugalen Bahn FyB ausgelöst werden.

Jede spontane Bewegung wird ihrer Entstehung nach auf
dieses einfache Schema zurückzuführen sein; doch wird selbstver-
ständlich die Anzahl der Erinnerungsbilder, welche als Anfangs-
glieder der oben gezeichneten Reflexbogen anzusehen sind, meist
eine mehrfache sein. Dies wird selbst für die einfachsten spon-
tanen Bewegungen, für die triebartigen, gelten.

So wie aber auf der einen Seite die unter einander associirten
Erinnerungsbilder gelegentlich eines äusseren Reizes gemeinsam
in Thätigkeit treten, so werden auch am Ende des Reflexbogens
vielfache, durch Gleichzeitigkeit oder Aufeinanderfolge associirte
Bewegungsvorstellungen gemeinschaftlich ins Bewusstsein gerufen.
Das Bewusstwerden einer Bewegungsvorstellung und
die Bewegung selbst können aber nur als verschiedene
Intensitätsgrade der Zellenerregung aufgefasst wer-
den,
indem die Erregung der Zelle, um die Bewegung auslösen
zu können, so stark geworden sein muss, dass sie die Wider-
stände der centrifugalen Bahn überwinden kann. Es wird daher
nur diejenige Bewegungsvorstellung zur Bewegung
selbst werden
, welche mit den zahlreichsten Anfangsgliedern
des Reflexbogens schon ausgeschliffene Faserverbindungen aufzu-
weisen hat -- vorausgesetzt, dass der zugeleitete Erregungsvor-
gang bei allen Anfangsgliedern die gleiche Intensität hat -- oder
welche mit den intensivsten Erinnerungsbildern von früher her
verknüpft ist, oder endlich, welche die ausgeschliffenste Bahn
für den anlangenden Erregungsvorgang bietet. In den beiden
zuletzt angenommenen Fällen muss die Anzahl der Erregungen
durch die Stärke der einzelnen compensirt werden.

Damit ist die Möglichkeit einer Auswahl der Be-
wegungen gegeben;
dieselbe wird um so grösser, je mehr Er-
innerungsbilder dem Individuum zur Verfügung stehen, je mehr
es die Erinnerungsbilder zu associiren geübt ist. Die einzig rich-
tige naturwissenschaftliche Definition des freien Willens stimmt
mit dieser mechanischen Auffassung von der Entstehung der spon-
tanen Bewegung auf's beste überein.

II.

Die vorangeschickte Betrachtung sollte die allgemeinen Ge-
setze erläutern, welche sich vorläufig aus den anatomischen und

Bewegungsvorstellung F und die spontane Bewegung selbst auf
der centrifugalen Bahn FyB ausgelöst werden.

Jede spontane Bewegung wird ihrer Entstehung nach auf
dieses einfache Schema zurückzuführen sein; doch wird selbstver-
ständlich die Anzahl der Erinnerungsbilder, welche als Anfangs-
glieder der oben gezeichneten Reflexbogen anzusehen sind, meist
eine mehrfache sein. Dies wird selbst für die einfachsten spon-
tanen Bewegungen, für die triebartigen, gelten.

So wie aber auf der einen Seite die unter einander associirten
Erinnerungsbilder gelegentlich eines äusseren Reizes gemeinsam
in Thätigkeit treten, so werden auch am Ende des Reflexbogens
vielfache, durch Gleichzeitigkeit oder Aufeinanderfolge associirte
Bewegungsvorstellungen gemeinschaftlich ins Bewusstsein gerufen.
Das Bewusstwerden einer Bewegungsvorstellung und
die Bewegung selbst können aber nur als verschiedene
Intensitätsgrade der Zellenerregung aufgefasst wer-
den,
indem die Erregung der Zelle, um die Bewegung auslösen
zu können, so stark geworden sein muss, dass sie die Wider-
stände der centrifugalen Bahn überwinden kann. Es wird daher
nur diejenige Bewegungsvorstellung zur Bewegung
selbst werden
, welche mit den zahlreichsten Anfangsgliedern
des Reflexbogens schon ausgeschliffene Faserverbindungen aufzu-
weisen hat — vorausgesetzt, dass der zugeleitete Erregungsvor-
gang bei allen Anfangsgliedern die gleiche Intensität hat — oder
welche mit den intensivsten Erinnerungsbildern von früher her
verknüpft ist, oder endlich, welche die ausgeschliffenste Bahn
für den anlangenden Erregungsvorgang bietet. In den beiden
zuletzt angenommenen Fällen muss die Anzahl der Erregungen
durch die Stärke der einzelnen compensirt werden.

Damit ist die Möglichkeit einer Auswahl der Be-
wegungen gegeben;
dieselbe wird um so grösser, je mehr Er-
innerungsbilder dem Individuum zur Verfügung stehen, je mehr
es die Erinnerungsbilder zu associiren geübt ist. Die einzig rich-
tige naturwissenschaftliche Definition des freien Willens stimmt
mit dieser mechanischen Auffassung von der Entstehung der spon-
tanen Bewegung auf’s beste überein.

II.

Die vorangeschickte Betrachtung sollte die allgemeinen Ge-
setze erläutern, welche sich vorläufig aus den anatomischen und

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[12/0016] Bewegungsvorstellung F und die spontane Bewegung selbst auf der centrifugalen Bahn FyB ausgelöst werden. Jede spontane Bewegung wird ihrer Entstehung nach auf dieses einfache Schema zurückzuführen sein; doch wird selbstver- ständlich die Anzahl der Erinnerungsbilder, welche als Anfangs- glieder der oben gezeichneten Reflexbogen anzusehen sind, meist eine mehrfache sein. Dies wird selbst für die einfachsten spon- tanen Bewegungen, für die triebartigen, gelten. So wie aber auf der einen Seite die unter einander associirten Erinnerungsbilder gelegentlich eines äusseren Reizes gemeinsam in Thätigkeit treten, so werden auch am Ende des Reflexbogens vielfache, durch Gleichzeitigkeit oder Aufeinanderfolge associirte Bewegungsvorstellungen gemeinschaftlich ins Bewusstsein gerufen. Das Bewusstwerden einer Bewegungsvorstellung und die Bewegung selbst können aber nur als verschiedene Intensitätsgrade der Zellenerregung aufgefasst wer- den, indem die Erregung der Zelle, um die Bewegung auslösen zu können, so stark geworden sein muss, dass sie die Wider- stände der centrifugalen Bahn überwinden kann. Es wird daher nur diejenige Bewegungsvorstellung zur Bewegung selbst werden, welche mit den zahlreichsten Anfangsgliedern des Reflexbogens schon ausgeschliffene Faserverbindungen aufzu- weisen hat — vorausgesetzt, dass der zugeleitete Erregungsvor- gang bei allen Anfangsgliedern die gleiche Intensität hat — oder welche mit den intensivsten Erinnerungsbildern von früher her verknüpft ist, oder endlich, welche die ausgeschliffenste Bahn für den anlangenden Erregungsvorgang bietet. In den beiden zuletzt angenommenen Fällen muss die Anzahl der Erregungen durch die Stärke der einzelnen compensirt werden. Damit ist die Möglichkeit einer Auswahl der Be- wegungen gegeben; dieselbe wird um so grösser, je mehr Er- innerungsbilder dem Individuum zur Verfügung stehen, je mehr es die Erinnerungsbilder zu associiren geübt ist. Die einzig rich- tige naturwissenschaftliche Definition des freien Willens stimmt mit dieser mechanischen Auffassung von der Entstehung der spon- tanen Bewegung auf’s beste überein. II. Die vorangeschickte Betrachtung sollte die allgemeinen Ge- setze erläutern, welche sich vorläufig aus den anatomischen und

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/16>, abgerufen am 21.11.2024.