Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Leistung der einzelnen Fasern an verschiedenen Stellen der
Grosshirnrinde zu endigen. So mag der Theil der centralen
Acusticusausbreitung zerstört sein, welcher die Wortklänge enthält,
während jedes Geräusch oder jeder musikalische Ton noch percep-
tibel bleibt.

Ist nun der Ort a1, die Rinde der I. Schläfewindung, zerstört,
so sind die Klangbilder der Benennungen aller möglichen Gegen-
stände aus der Erinnerung ausgelöscht, während der Begriff noch
in voller Klarheit vorhanden sein kann. Denn das Klangbild des
Namens ist für den Begriff eines Gegenstandes in den allermeisten
Fällen sehr nebensächlich, während die Gefühls- und Tastsinns-
bilder dafür Ausschlag gebend sind. Störungen, welche die den
Begriff constituirenden Gesichts- und Tastsinnsbilder betreffen,
(Finkelnburg's Asymbolie), sind daher auch gar nicht zu den
Sprachstörungen, sondern zu denen der Begriffe, also der Intelligenz,
zu rechnen, wenn auch zugegeben werden soll, dass sie innerhalb
derselben deutlich abgegrenzte zusammengehörige Gruppen bilden.

Es ist klar, dass die Erhaltung der Leitung a1 b ohne Werth
ist, sobald einmal die Klangbilder verloren gegangen sind. Von
den Klangbildern aus werden also die Worte nicht mehr innervirt.
Ausserdem ist aber auch die Bahn durchbrochen, welche den ge-
hörten Klang mit den übrigen Sinnesbildern eines Gegenstandes
verknüpfte (Associationsfasern, die von der I. Schläfewindung zu
den anderen sensorischen Districten des Hinterhauptsschläfelappens
ziehen). Der Kranke ist also weder fähig das gespro-
chene Wort nachzusagen
, -- denn das ist ja die eigentliche
Leistung der Bahn a a1 b b1 -- noch das gesprochene Wort
zu verstehen.
Er hört von dem Gesprochenen nur ein ver-
worrenes Geräusch, das für ihn keinen Sinn hat -- oder im besten
Falle eine ihm ganz fremde Sprache, deren einzelne Laute er
percipirt und allmählich wieder verstehen lernt.

Es bleibt deswegen immer noch ein Weg offen, von dem
aus die Sprachbewegungsvorstellungen innervirt werden können.
Der Kranke mit den ihm bis jetzt zugetheilten Eigenschaften hat
keine Intelligenzstörungen, er stellt durch sein Benehmen, durch sein
verständiges Auffassen der gemachten Zeichen und Geberden
ausser Zweifel, dass die Sinnesbilder der concreten ihn umgebenden
Gegenstände, also auch ihr Begriff, ihm vertraut sind. Nun hat
ja die Association der Klangbilder mit den Bewegungsvorstellungen
wesentlich ihren Werth darin, dass sie die Erlernung der Sprache

Leistung der einzelnen Fasern an verschiedenen Stellen der
Grosshirnrinde zu endigen. So mag der Theil der centralen
Acusticusausbreitung zerstört sein, welcher die Wortklänge enthält,
während jedes Geräusch oder jeder musikalische Ton noch percep-
tibel bleibt.

Ist nun der Ort a1, die Rinde der I. Schläfewindung, zerstört,
so sind die Klangbilder der Benennungen aller möglichen Gegen-
stände aus der Erinnerung ausgelöscht, während der Begriff noch
in voller Klarheit vorhanden sein kann. Denn das Klangbild des
Namens ist für den Begriff eines Gegenstandes in den allermeisten
Fällen sehr nebensächlich, während die Gefühls- und Tastsinns-
bilder dafür Ausschlag gebend sind. Störungen, welche die den
Begriff constituirenden Gesichts- und Tastsinnsbilder betreffen,
(Finkelnburg’s Asymbolie), sind daher auch gar nicht zu den
Sprachstörungen, sondern zu denen der Begriffe, also der Intelligenz,
zu rechnen, wenn auch zugegeben werden soll, dass sie innerhalb
derselben deutlich abgegrenzte zusammengehörige Gruppen bilden.

Es ist klar, dass die Erhaltung der Leitung a1 b ohne Werth
ist, sobald einmal die Klangbilder verloren gegangen sind. Von
den Klangbildern aus werden also die Worte nicht mehr innervirt.
Ausserdem ist aber auch die Bahn durchbrochen, welche den ge-
hörten Klang mit den übrigen Sinnesbildern eines Gegenstandes
verknüpfte (Associationsfasern, die von der I. Schläfewindung zu
den anderen sensorischen Districten des Hinterhauptsschläfelappens
ziehen). Der Kranke ist also weder fähig das gespro-
chene Wort nachzusagen
, — denn das ist ja die eigentliche
Leistung der Bahn a a1 b b1noch das gesprochene Wort
zu verstehen.
Er hört von dem Gesprochenen nur ein ver-
worrenes Geräusch, das für ihn keinen Sinn hat — oder im besten
Falle eine ihm ganz fremde Sprache, deren einzelne Laute er
percipirt und allmählich wieder verstehen lernt.

Es bleibt deswegen immer noch ein Weg offen, von dem
aus die Sprachbewegungsvorstellungen innervirt werden können.
Der Kranke mit den ihm bis jetzt zugetheilten Eigenschaften hat
keine Intelligenzstörungen, er stellt durch sein Benehmen, durch sein
verständiges Auffassen der gemachten Zeichen und Geberden
ausser Zweifel, dass die Sinnesbilder der concreten ihn umgebenden
Gegenstände, also auch ihr Begriff, ihm vertraut sind. Nun hat
ja die Association der Klangbilder mit den Bewegungsvorstellungen
wesentlich ihren Werth darin, dass sie die Erlernung der Sprache

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="22"/>
Leistung der einzelnen Fasern an verschiedenen Stellen der<lb/>
Grosshirnrinde zu endigen. So mag der Theil der centralen<lb/>
Acusticusausbreitung zerstört sein, welcher die Wortklänge enthält,<lb/>
während jedes Geräusch oder jeder musikalische Ton noch percep-<lb/>
tibel bleibt.</p><lb/>
          <p>Ist nun der Ort a<hi rendition="#sub">1</hi>, die Rinde der I. Schläfewindung, zerstört,<lb/>
so sind die Klangbilder der Benennungen aller möglichen Gegen-<lb/>
stände aus der Erinnerung ausgelöscht, während der Begriff noch<lb/>
in voller Klarheit vorhanden sein kann. Denn das Klangbild des<lb/>
Namens ist für den Begriff eines Gegenstandes in den allermeisten<lb/>
Fällen sehr nebensächlich, während die Gefühls- und Tastsinns-<lb/>
bilder dafür Ausschlag gebend sind. Störungen, welche die den<lb/>
Begriff constituirenden Gesichts- und Tastsinnsbilder betreffen,<lb/>
(Finkelnburg&#x2019;s Asymbolie), sind daher auch gar nicht zu den<lb/>
Sprachstörungen, sondern zu denen der Begriffe, also der Intelligenz,<lb/>
zu rechnen, wenn auch zugegeben werden soll, dass sie innerhalb<lb/>
derselben deutlich abgegrenzte zusammengehörige Gruppen bilden.</p><lb/>
          <p>Es ist klar, dass die Erhaltung der Leitung a<hi rendition="#sub">1</hi> b ohne Werth<lb/>
ist, sobald einmal die Klangbilder verloren gegangen sind. Von<lb/>
den Klangbildern aus werden also die Worte nicht mehr innervirt.<lb/>
Ausserdem ist aber auch die Bahn durchbrochen, welche den ge-<lb/>
hörten Klang mit den übrigen Sinnesbildern eines Gegenstandes<lb/>
verknüpfte (Associationsfasern, die von der I. Schläfewindung zu<lb/>
den anderen sensorischen Districten des Hinterhauptsschläfelappens<lb/>
ziehen). <hi rendition="#g">Der Kranke ist also weder fähig das gespro-<lb/>
chene Wort nachzusagen</hi>, &#x2014; denn das ist ja die eigentliche<lb/>
Leistung der Bahn a a<hi rendition="#sub">1</hi> b b<hi rendition="#sub">1</hi> &#x2014; <hi rendition="#g">noch das gesprochene Wort<lb/>
zu verstehen.</hi> Er hört von dem Gesprochenen nur ein ver-<lb/>
worrenes Geräusch, das für ihn keinen Sinn hat &#x2014; oder im besten<lb/>
Falle eine ihm ganz fremde Sprache, deren einzelne Laute er<lb/>
percipirt und allmählich wieder verstehen lernt.</p><lb/>
          <p>Es bleibt deswegen immer noch ein Weg offen, von dem<lb/>
aus die Sprachbewegungsvorstellungen innervirt werden können.<lb/>
Der Kranke mit den ihm bis jetzt zugetheilten Eigenschaften hat<lb/>
keine Intelligenzstörungen, er stellt durch sein Benehmen, durch sein<lb/>
verständiges Auffassen der gemachten Zeichen und Geberden<lb/>
ausser Zweifel, dass die Sinnesbilder der concreten ihn umgebenden<lb/>
Gegenstände, also auch ihr Begriff, ihm vertraut sind. Nun hat<lb/>
ja die Association der Klangbilder mit den Bewegungsvorstellungen<lb/>
wesentlich ihren Werth darin, dass sie die Erlernung der Sprache<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0026] Leistung der einzelnen Fasern an verschiedenen Stellen der Grosshirnrinde zu endigen. So mag der Theil der centralen Acusticusausbreitung zerstört sein, welcher die Wortklänge enthält, während jedes Geräusch oder jeder musikalische Ton noch percep- tibel bleibt. Ist nun der Ort a1, die Rinde der I. Schläfewindung, zerstört, so sind die Klangbilder der Benennungen aller möglichen Gegen- stände aus der Erinnerung ausgelöscht, während der Begriff noch in voller Klarheit vorhanden sein kann. Denn das Klangbild des Namens ist für den Begriff eines Gegenstandes in den allermeisten Fällen sehr nebensächlich, während die Gefühls- und Tastsinns- bilder dafür Ausschlag gebend sind. Störungen, welche die den Begriff constituirenden Gesichts- und Tastsinnsbilder betreffen, (Finkelnburg’s Asymbolie), sind daher auch gar nicht zu den Sprachstörungen, sondern zu denen der Begriffe, also der Intelligenz, zu rechnen, wenn auch zugegeben werden soll, dass sie innerhalb derselben deutlich abgegrenzte zusammengehörige Gruppen bilden. Es ist klar, dass die Erhaltung der Leitung a1 b ohne Werth ist, sobald einmal die Klangbilder verloren gegangen sind. Von den Klangbildern aus werden also die Worte nicht mehr innervirt. Ausserdem ist aber auch die Bahn durchbrochen, welche den ge- hörten Klang mit den übrigen Sinnesbildern eines Gegenstandes verknüpfte (Associationsfasern, die von der I. Schläfewindung zu den anderen sensorischen Districten des Hinterhauptsschläfelappens ziehen). Der Kranke ist also weder fähig das gespro- chene Wort nachzusagen, — denn das ist ja die eigentliche Leistung der Bahn a a1 b b1 — noch das gesprochene Wort zu verstehen. Er hört von dem Gesprochenen nur ein ver- worrenes Geräusch, das für ihn keinen Sinn hat — oder im besten Falle eine ihm ganz fremde Sprache, deren einzelne Laute er percipirt und allmählich wieder verstehen lernt. Es bleibt deswegen immer noch ein Weg offen, von dem aus die Sprachbewegungsvorstellungen innervirt werden können. Der Kranke mit den ihm bis jetzt zugetheilten Eigenschaften hat keine Intelligenzstörungen, er stellt durch sein Benehmen, durch sein verständiges Auffassen der gemachten Zeichen und Geberden ausser Zweifel, dass die Sinnesbilder der concreten ihn umgebenden Gegenstände, also auch ihr Begriff, ihm vertraut sind. Nun hat ja die Association der Klangbilder mit den Bewegungsvorstellungen wesentlich ihren Werth darin, dass sie die Erlernung der Sprache

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/26
Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/26>, abgerufen am 21.11.2024.