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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Siehst du, Brüderchen? tröstete ihn Me-
dardus mit gutherzigem Ton -- die Vorsicht
lebt noch. Unglück ist immer zu etwas gut:
wenn du gleich in Millionen Stücken zerhauen
und auf dem Roste geröstet wirst, das kann
immer zu etwas gut seyn: du weißt es nur
nicht. -- Wenn ich nur einen Krug Apfel-
wein hier hätte, so wollte ich dir schon Muth
zutrinken. -- Komm, Brüderchen, ich möch-
te doch wissen, was es für ein Mann ist, der
den armen Juden um achzig Thaler so
schändlich betrogen hat.

Sie kehrten in die Stube zurück, um dar-
über Erkundigung einzuziehn. Der Wirth
bezeigte sich anfangs sehr zurückhaltend, als
er sich aber sorgfältig umgesehn und keinen
Belauscher bemerkt hatte, so schüttete er sein
Herz gern aus und that ihnen zu wissen, daß
dieser Mann der schändlichste Unterdrücker des
Erdbodens sey. Wir armen Leute, sprach
er, die wir unter seiner Gerichtspflege stehen,
wir sind seine Schafe, denen er die Wolle ab-
nimmt, so bald sie nur ein wenig gewachsen
ist; und mannichmal fährt uns seine Scheere
gar ins Fleisch, daß wir uns verbluten möch-
ten. Er weis jede Kleinigkeit zu einem Ver-

F

Siehſt du, Bruͤderchen? troͤſtete ihn Me-
dardus mit gutherzigem Ton — die Vorſicht
lebt noch. Ungluͤck iſt immer zu etwas gut:
wenn du gleich in Millionen Stuͤcken zerhauen
und auf dem Roſte geroͤſtet wirſt, das kann
immer zu etwas gut ſeyn: du weißt es nur
nicht. — Wenn ich nur einen Krug Apfel-
wein hier haͤtte, ſo wollte ich dir ſchon Muth
zutrinken. — Komm, Bruͤderchen, ich moͤch-
te doch wiſſen, was es fuͤr ein Mann iſt, der
den armen Juden um achzig Thaler ſo
ſchaͤndlich betrogen hat.

Sie kehrten in die Stube zuruͤck, um dar-
uͤber Erkundigung einzuziehn. Der Wirth
bezeigte ſich anfangs ſehr zuruͤckhaltend, als
er ſich aber ſorgfaͤltig umgeſehn und keinen
Belauſcher bemerkt hatte, ſo ſchuͤttete er ſein
Herz gern aus und that ihnen zu wiſſen, daß
dieſer Mann der ſchaͤndlichſte Unterdruͤcker des
Erdbodens ſey. Wir armen Leute, ſprach
er, die wir unter ſeiner Gerichtspflege ſtehen,
wir ſind ſeine Schafe, denen er die Wolle ab-
nimmt, ſo bald ſie nur ein wenig gewachſen
iſt; und mannichmal faͤhrt uns ſeine Scheere
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[81/0101] Siehſt du, Bruͤderchen? troͤſtete ihn Me- dardus mit gutherzigem Ton — die Vorſicht lebt noch. Ungluͤck iſt immer zu etwas gut: wenn du gleich in Millionen Stuͤcken zerhauen und auf dem Roſte geroͤſtet wirſt, das kann immer zu etwas gut ſeyn: du weißt es nur nicht. — Wenn ich nur einen Krug Apfel- wein hier haͤtte, ſo wollte ich dir ſchon Muth zutrinken. — Komm, Bruͤderchen, ich moͤch- te doch wiſſen, was es fuͤr ein Mann iſt, der den armen Juden um achzig Thaler ſo ſchaͤndlich betrogen hat. Sie kehrten in die Stube zuruͤck, um dar- uͤber Erkundigung einzuziehn. Der Wirth bezeigte ſich anfangs ſehr zuruͤckhaltend, als er ſich aber ſorgfaͤltig umgeſehn und keinen Belauſcher bemerkt hatte, ſo ſchuͤttete er ſein Herz gern aus und that ihnen zu wiſſen, daß dieſer Mann der ſchaͤndlichſte Unterdruͤcker des Erdbodens ſey. Wir armen Leute, ſprach er, die wir unter ſeiner Gerichtspflege ſtehen, wir ſind ſeine Schafe, denen er die Wolle ab- nimmt, ſo bald ſie nur ein wenig gewachſen iſt; und mannichmal faͤhrt uns ſeine Scheere gar ins Fleiſch, daß wir uns verbluten moͤch- ten. Er weis jede Kleinigkeit zu einem Ver- F

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/101>, abgerufen am 20.05.2024.