der wie das Vieh behandelt und von seinem Besitzer als eine Möbel gebraucht wird -- dieser Mitleidenswürdige, verglichen mit ei- nem europäischen Schwelger, der Lasten auf seinem Tische und in seinen Zimmern auf- thürmt, woran der Schweis und vielleicht das Blut jener Elenden klebt, der sich nicht speist, sondern mästet, in Bequemlichkeit, Ruhe und Sinnlichkeit zerfließt -- und doch beide Kinder Einer Mutter! -- welch ein Kontrast! Mir springt das Herz, wenn ich ihn denke: ich hätte Lust ein Rebell wider Natur und Schicksal zu werden. Unmöglich kann der Mensch das erhabne Ding seyn, wofür ich ihn sonst ansah; er ist eine Karri- katur, oder ein Ungeheuer. -- O wenn doch die flammende Sonne dieses glühenden Erd- strichs mir meine Einbildungskraft und meine Empfindung versengte, verbrännte, ganz zer- nichtete! Sonst mahlten sie mir die Erde als ein Paradies, und izt als eine Mördergrube; sonst den Menschen als einen friedsamen lieb- reichen Engel, und izt als einen streitsüchti- gen unterdrückenden Wolf; sonst den Lauf der Welt als ein sanfttönendes harmonisches Kouzert, dessen Melodie in der abgemessen.
der wie das Vieh behandelt und von ſeinem Beſitzer als eine Moͤbel gebraucht wird — dieſer Mitleidenswuͤrdige, verglichen mit ei- nem europaͤiſchen Schwelger, der Laſten auf ſeinem Tiſche und in ſeinen Zimmern auf- thuͤrmt, woran der Schweis und vielleicht das Blut jener Elenden klebt, der ſich nicht ſpeiſt, ſondern maͤſtet, in Bequemlichkeit, Ruhe und Sinnlichkeit zerfließt — und doch beide Kinder Einer Mutter! — welch ein Kontraſt! Mir ſpringt das Herz, wenn ich ihn denke: ich haͤtte Luſt ein Rebell wider Natur und Schickſal zu werden. Unmoͤglich kann der Menſch das erhabne Ding ſeyn, wofuͤr ich ihn ſonſt anſah; er iſt eine Karri- katur, oder ein Ungeheuer. — O wenn doch die flammende Sonne dieſes gluͤhenden Erd- ſtrichs mir meine Einbildungskraft und meine Empfindung verſengte, verbraͤnnte, ganz zer- nichtete! Sonſt mahlten ſie mir die Erde als ein Paradies, und izt als eine Moͤrdergrube; ſonſt den Menſchen als einen friedſamen lieb- reichen Engel, und izt als einen ſtreitſuͤchti- gen unterdruͤckenden Wolf; ſonſt den Lauf der Welt als ein ſanfttoͤnendes harmoniſches Kouzert, deſſen Melodie in der abgemeſſen.
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der wie das Vieh behandelt und von ſeinem
Beſitzer als eine Moͤbel gebraucht wird —
dieſer Mitleidenswuͤrdige, verglichen mit ei-
nem europaͤiſchen Schwelger, der Laſten auf
ſeinem Tiſche und in ſeinen Zimmern auf-
thuͤrmt, woran der Schweis und vielleicht
das Blut jener Elenden klebt, der ſich nicht
ſpeiſt, ſondern maͤſtet, in Bequemlichkeit,
Ruhe und Sinnlichkeit zerfließt — und doch
beide Kinder Einer Mutter! — welch ein
Kontraſt! Mir ſpringt das Herz, wenn ich
ihn denke: ich haͤtte Luſt ein Rebell wider
Natur und Schickſal zu werden. Unmoͤglich
kann der Menſch das erhabne Ding ſeyn,
wofuͤr ich ihn ſonſt anſah; er iſt eine Karri-
katur, oder ein Ungeheuer. — O wenn doch
die flammende Sonne dieſes gluͤhenden Erd-
ſtrichs mir meine Einbildungskraft und meine
Empfindung verſengte, verbraͤnnte, ganz zer-
nichtete! Sonſt mahlten ſie mir die Erde als
ein Paradies, und izt als eine Moͤrdergrube;
ſonſt den Menſchen als einen friedſamen lieb-
reichen Engel, und izt als einen ſtreitſuͤchti-
gen unterdruͤckenden Wolf; ſonſt den Lauf
der Welt als ein ſanfttoͤnendes harmoniſches
Kouzert, deſſen Melodie in der abgemeſſen.
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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