Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

sten Ordnung herabfließt, und izt als ein
Chaos, als eine allgemeine verwirrungsvolle
Schlacht, als eine Reihe Unterdrückungen,
die nichts unterscheidet als weniger oder mehr
Gräßlichkeit. -- O Unwissenheit! einzige
Mutter der Glückseligkeit, der Zufriedenheit!
Könnte ich dich zurückrufen; die Hälfte mei-
nes Jchs gäbe ich um dich, um die andre
überglücklich zu machen. Wäre es nur noch
einmal mir vergönnt, meinen Blick ganz in
mich zurückziehn, nur in meiner Einbildungs-
kraft und meinem Herze zu existiren, mir mit
meinem Fromal die ganze Welt zu seyn!
Könnt ich die traurige Wissenschaft des Men-
schen und der Welt, und die noch traurigere
Kunst der Vergleichung ausrotten. O ihr
glücklichen Seelen, die ihr innerhalb eures
Selbst und eurer nächsten Gesellschaft mit
eurer Erkenntniß stehen bliebt, denen die Na-
tur ein kurzsichtiges Auge und einen engen
Horizont gab; ihr seyd die Glücklichsten die-
ser Erde! -- Ja, gewiß, Fromal, um glück-
lich unter der Sonne zu seyn, muß man
Jgnoranz im Kopfe oder kaltes Blut in den
Adern haben; -- man muß träumen oder
sterben: denn zu wachen -- wehe, wehe

S 4

ſten Ordnung herabfließt, und izt als ein
Chaos, als eine allgemeine verwirrungsvolle
Schlacht, als eine Reihe Unterdruͤckungen,
die nichts unterſcheidet als weniger oder mehr
Graͤßlichkeit. — O Unwiſſenheit! einzige
Mutter der Gluͤckſeligkeit, der Zufriedenheit!
Koͤnnte ich dich zuruͤckrufen; die Haͤlfte mei-
nes Jchs gaͤbe ich um dich, um die andre
uͤbergluͤcklich zu machen. Waͤre es nur noch
einmal mir vergoͤnnt, meinen Blick ganz in
mich zuruͤckziehn, nur in meiner Einbildungs-
kraft und meinem Herze zu exiſtiren, mir mit
meinem Fromal die ganze Welt zu ſeyn!
Koͤnnt ich die traurige Wiſſenſchaft des Men-
ſchen und der Welt, und die noch traurigere
Kunſt der Vergleichung ausrotten. O ihr
gluͤcklichen Seelen, die ihr innerhalb eures
Selbſt und eurer naͤchſten Geſellſchaft mit
eurer Erkenntniß ſtehen bliebt, denen die Na-
tur ein kurzſichtiges Auge und einen engen
Horizont gab; ihr ſeyd die Gluͤcklichſten die-
ſer Erde! — Ja, gewiß, Fromal, um gluͤck-
lich unter der Sonne zu ſeyn, muß man
Jgnoranz im Kopfe oder kaltes Blut in den
Adern haben; — man muß traͤumen oder
ſterben: denn zu wachen — wehe, wehe

S 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0299" n="279"/>
&#x017F;ten Ordnung herabfließt, und izt als ein<lb/>
Chaos, als eine allgemeine verwirrungsvolle<lb/>
Schlacht, als eine Reihe Unterdru&#x0364;ckungen,<lb/>
die nichts unter&#x017F;cheidet als weniger oder mehr<lb/>
Gra&#x0364;ßlichkeit. &#x2014; O Unwi&#x017F;&#x017F;enheit! einzige<lb/>
Mutter der Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit, der Zufriedenheit!<lb/>
Ko&#x0364;nnte ich dich zuru&#x0364;ckrufen; die Ha&#x0364;lfte mei-<lb/>
nes Jchs ga&#x0364;be ich um dich, um die andre<lb/>
u&#x0364;berglu&#x0364;cklich zu machen. Wa&#x0364;re es nur noch<lb/>
einmal mir vergo&#x0364;nnt, meinen Blick ganz in<lb/>
mich zuru&#x0364;ckziehn, nur in meiner Einbildungs-<lb/>
kraft und meinem Herze zu exi&#x017F;tiren, mir mit<lb/>
meinem Fromal die ganze Welt zu &#x017F;eyn!<lb/>
Ko&#x0364;nnt ich die traurige Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft des Men-<lb/>
&#x017F;chen und der Welt, und die noch traurigere<lb/>
Kun&#x017F;t der Vergleichung ausrotten. O ihr<lb/>
glu&#x0364;cklichen Seelen, die ihr innerhalb eures<lb/>
Selb&#x017F;t und eurer na&#x0364;ch&#x017F;ten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mit<lb/>
eurer Erkenntniß &#x017F;tehen bliebt, denen die Na-<lb/>
tur ein kurz&#x017F;ichtiges Auge und einen engen<lb/>
Horizont gab; ihr &#x017F;eyd die Glu&#x0364;cklich&#x017F;ten die-<lb/>
&#x017F;er Erde! &#x2014; Ja, gewiß, Fromal, um glu&#x0364;ck-<lb/>
lich unter der Sonne zu &#x017F;eyn, muß man<lb/>
Jgnoranz im Kopfe oder kaltes Blut in den<lb/>
Adern haben; &#x2014; man muß tra&#x0364;umen oder<lb/>
&#x017F;terben: denn zu wachen &#x2014; wehe, wehe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0299] ſten Ordnung herabfließt, und izt als ein Chaos, als eine allgemeine verwirrungsvolle Schlacht, als eine Reihe Unterdruͤckungen, die nichts unterſcheidet als weniger oder mehr Graͤßlichkeit. — O Unwiſſenheit! einzige Mutter der Gluͤckſeligkeit, der Zufriedenheit! Koͤnnte ich dich zuruͤckrufen; die Haͤlfte mei- nes Jchs gaͤbe ich um dich, um die andre uͤbergluͤcklich zu machen. Waͤre es nur noch einmal mir vergoͤnnt, meinen Blick ganz in mich zuruͤckziehn, nur in meiner Einbildungs- kraft und meinem Herze zu exiſtiren, mir mit meinem Fromal die ganze Welt zu ſeyn! Koͤnnt ich die traurige Wiſſenſchaft des Men- ſchen und der Welt, und die noch traurigere Kunſt der Vergleichung ausrotten. O ihr gluͤcklichen Seelen, die ihr innerhalb eures Selbſt und eurer naͤchſten Geſellſchaft mit eurer Erkenntniß ſtehen bliebt, denen die Na- tur ein kurzſichtiges Auge und einen engen Horizont gab; ihr ſeyd die Gluͤcklichſten die- ſer Erde! — Ja, gewiß, Fromal, um gluͤck- lich unter der Sonne zu ſeyn, muß man Jgnoranz im Kopfe oder kaltes Blut in den Adern haben; — man muß traͤumen oder ſterben: denn zu wachen — wehe, wehe S 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/299
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/299>, abgerufen am 22.11.2024.