"Meinen Bruder!" -- Weg war Belphegor, ehe er das Wort noch völlig aussprach, oder ihn zurückhalten konnte -- gerade auf den Mann zu, den er für den Bruder des Unglück- lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem Halse und kündigte ihm seinen Untergang, die Strafe für seine Unbarmherzigkeit und seinen unbrüderlichen Neid an. Der Andre, der während des Prozesses eine reiche Wittwe durch List zu seiner Frau gemacht hatte und sich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei- ter zu Hülfe, die in einem nahen Busche Holz für ihn fällten. Sie kamen mit allen Werk- zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen, schlugen den übermannten Belphegor vom Kopf bis auf die Füße blau, die linke Hand morsch und ein großes Loch in den Hirnschä- del: so verließen sie ihn.
Der Mann, um dessentwillen er sich allen diesen Schmerzen ausgesezt hatte, wagte sich nicht in die Nähe des Streites, blieb furcht- sam in der Ferne stehn, so lange es Schläge sezte, und schlich langsam zu seinem Verfech- ter hin, als die Gefahr vorüber war. Er beklagte ihn herzlich und versprach mit der gerührtesten Dankbarkeit, sich seiner anzu-
nehmen,
„Meinen Bruder!‟ — Weg war Belphegor, ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder ihn zuruͤckhalten konnte — gerade auf den Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck- lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang, die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre, der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei- ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk- zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen, ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ- del: ſo verließen ſie ihn.
Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht- ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech- ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er beklagte ihn herzlich und verſprach mit der geruͤhrteſten Dankbarkeit, ſich ſeiner anzu-
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„Meinen Bruder!‟ — Weg war Belphegor,
ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder
ihn zuruͤckhalten konnte — gerade auf den
Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck-
lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem
Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang,
die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und
ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre,
der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe
durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und
ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei-
ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz
fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk-
zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen,
ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom
Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand
morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ-
del: ſo verließen ſie ihn.
Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen
dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich
nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht-
ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge
ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech-
ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er
beklagte ihn herzlich und verſprach mit der
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/52>, abgerufen am 22.11.2024.
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