Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

gesteckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim-
liche Besuche von etlichen artigen Puppen,
die uns die Einsamkeit erleichtern sollten:
bey meiner Schlafmütze! ich war so unschul-
dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte
nichts Böses im Sinne und konnte auch nicht:
purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen
mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen
war, und schlimm, wenn ich sie entbehren
mußte. Auch mir waren sie herzlich gut, und
die übrigen Schlucker bekamen kaum einen
Kuß, wenn ich schon sechse zum voraus hatte.
Siehst du, Brüderchen? Sie wurden nei-
disch: Bruder Paskal versteckte sich, und da
ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er
mich bey den Ohren und will mir beide Oh-
ren abschneiden, aber das Messer war zu
stumpf; so kam ich mit einem hübschen lan-
gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen
ließ. Damit war aber der Groll nicht vor-
über: wenn ich nur einen Blick mehr bekam
als ein andrer, so mußte ich leiden; und ob
ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit-
te gieng, so blieben sie mir doch feind und
suchten alle Gelegenheit, mir zu schaden, mich
zu verfolgen. Einige beschlossen, mich zu

geſteckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim-
liche Beſuche von etlichen artigen Puppen,
die uns die Einſamkeit erleichtern ſollten:
bey meiner Schlafmuͤtze! ich war ſo unſchul-
dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte
nichts Boͤſes im Sinne und konnte auch nicht:
purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen
mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen
war, und ſchlimm, wenn ich ſie entbehren
mußte. Auch mir waren ſie herzlich gut, und
die uͤbrigen Schlucker bekamen kaum einen
Kuß, wenn ich ſchon ſechſe zum voraus hatte.
Siehſt du, Bruͤderchen? Sie wurden nei-
diſch: Bruder Paſkal verſteckte ſich, und da
ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er
mich bey den Ohren und will mir beide Oh-
ren abſchneiden, aber das Meſſer war zu
ſtumpf; ſo kam ich mit einem huͤbſchen lan-
gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen
ließ. Damit war aber der Groll nicht vor-
uͤber: wenn ich nur einen Blick mehr bekam
als ein andrer, ſo mußte ich leiden; und ob
ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit-
te gieng, ſo blieben ſie mir doch feind und
ſuchten alle Gelegenheit, mir zu ſchaden, mich
zu verfolgen. Einige beſchloſſen, mich zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0081" n="61"/>
ge&#x017F;teckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim-<lb/>
liche Be&#x017F;uche von etlichen artigen Puppen,<lb/>
die uns die Ein&#x017F;amkeit erleichtern &#x017F;ollten:<lb/>
bey meiner Schlafmu&#x0364;tze! ich war &#x017F;o un&#x017F;chul-<lb/>
dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte<lb/>
nichts Bo&#x0364;&#x017F;es im Sinne und konnte auch nicht:<lb/>
purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen<lb/>
mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen<lb/>
war, und &#x017F;chlimm, wenn ich &#x017F;ie entbehren<lb/>
mußte. Auch mir waren &#x017F;ie herzlich gut, und<lb/>
die u&#x0364;brigen Schlucker bekamen kaum einen<lb/>
Kuß, wenn ich &#x017F;chon &#x017F;ech&#x017F;e zum voraus hatte.<lb/>
Sieh&#x017F;t du, Bru&#x0364;derchen? Sie wurden nei-<lb/>
di&#x017F;ch: Bruder Pa&#x017F;kal ver&#x017F;teckte &#x017F;ich, und da<lb/>
ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er<lb/>
mich bey den Ohren und will mir beide Oh-<lb/>
ren ab&#x017F;chneiden, aber das Me&#x017F;&#x017F;er war zu<lb/>
&#x017F;tumpf; &#x017F;o kam ich mit einem hu&#x0364;b&#x017F;chen lan-<lb/>
gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen<lb/>
ließ. Damit war aber der Groll nicht vor-<lb/>
u&#x0364;ber: wenn ich nur einen Blick mehr bekam<lb/>
als ein andrer, &#x017F;o mußte ich leiden; und ob<lb/>
ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit-<lb/>
te gieng, &#x017F;o blieben &#x017F;ie mir doch feind und<lb/>
&#x017F;uchten alle Gelegenheit, mir zu &#x017F;chaden, mich<lb/>
zu verfolgen. Einige be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, mich zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0081] geſteckt. Wir erhielten darinne zuweilen heim- liche Beſuche von etlichen artigen Puppen, die uns die Einſamkeit erleichtern ſollten: bey meiner Schlafmuͤtze! ich war ſo unſchul- dig, wie ein Sechswochenkind: ich hatte nichts Boͤſes im Sinne und konnte auch nicht: purer Naturtrieb! die Kinderchen gefielen mir, es war mir wohl, wenn ich bey ihnen war, und ſchlimm, wenn ich ſie entbehren mußte. Auch mir waren ſie herzlich gut, und die uͤbrigen Schlucker bekamen kaum einen Kuß, wenn ich ſchon ſechſe zum voraus hatte. Siehſt du, Bruͤderchen? Sie wurden nei- diſch: Bruder Paſkal verſteckte ſich, und da ich im Dunkeln vor ihm vorbeygehe, faßt er mich bey den Ohren und will mir beide Oh- ren abſchneiden, aber das Meſſer war zu ſtumpf; ſo kam ich mit einem huͤbſchen lan- gen Schnitte davon, den ich wieder zuheilen ließ. Damit war aber der Groll nicht vor- uͤber: wenn ich nur einen Blick mehr bekam als ein andrer, ſo mußte ich leiden; und ob ich gleich izt mit ihnen nur in gleichem Schrit- te gieng, ſo blieben ſie mir doch feind und ſuchten alle Gelegenheit, mir zu ſchaden, mich zu verfolgen. Einige beſchloſſen, mich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/81
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/81>, abgerufen am 23.11.2024.