Frucht der herabhängenden Schote und fand ihren Geschmack weniger schön als die Mine, aber doch nicht übel. Sie kostete noch ein- mal, und dann wieder, gab mir davon, ich konnte aber nichts genießen. Ich bat noch- mals, die Frucht wegzuwerfen; allein sie fand den Geschmack süßer und angenehmer, je mehr sie genoß. Wir beschlossen, die Pflanze zu versetzen, sprachen und ergötzten uns an künftigen Einrichtungen noch lange Zeit. Plözlich verstummte sie, entsank sich windend meinem Arme, ich faßte sie auf, rief; umsonst! alle Glieder zitterten mit kon- vulsivischer Bewegung, die Muskeln des Ge- sichts verzerrten sich in schreckliche Minen, sie schluchzte noch einige unvernehmliche Worte, starrte dahin und -- starb.
Er verstummte, und die Geschichte selbst lehre den Leser seine Empfindung. --
Mitten in der Nacht als die ganze kleine Kolonie in dem tiefsten sorgenlosesten Schlafe lag -- denn vor welchem Eigennutze sollten sie in der abgesondersten Einsamkeit sich fürchten? -- weckte Belphegorn plözlich ein Getöse, das immer mehr sich verstärckte, und näher rückte: er hob sich empor und
wurde
Frucht der herabhaͤngenden Schote und fand ihren Geſchmack weniger ſchoͤn als die Mine, aber doch nicht uͤbel. Sie koſtete noch ein- mal, und dann wieder, gab mir davon, ich konnte aber nichts genießen. Ich bat noch- mals, die Frucht wegzuwerfen; allein ſie fand den Geſchmack ſuͤßer und angenehmer, je mehr ſie genoß. Wir beſchloſſen, die Pflanze zu verſetzen, ſprachen und ergoͤtzten uns an kuͤnftigen Einrichtungen noch lange Zeit. Ploͤzlich verſtummte ſie, entſank ſich windend meinem Arme, ich faßte ſie auf, rief; umſonſt! alle Glieder zitterten mit kon- vulſiviſcher Bewegung, die Muſkeln des Ge- ſichts verzerrten ſich in ſchreckliche Minen, ſie ſchluchzte noch einige unvernehmliche Worte, ſtarrte dahin und — ſtarb.
Er verſtummte, und die Geſchichte ſelbſt lehre den Leſer ſeine Empfindung. —
Mitten in der Nacht als die ganze kleine Kolonie in dem tiefſten ſorgenloſeſten Schlafe lag — denn vor welchem Eigennutze ſollten ſie in der abgeſonderſten Einſamkeit ſich fuͤrchten? — weckte Belphegorn ploͤzlich ein Getoͤſe, das immer mehr ſich verſtaͤrckte, und naͤher ruͤckte: er hob ſich empor und
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Frucht der herabhaͤngenden Schote und fand
ihren Geſchmack weniger ſchoͤn als die Mine,
aber doch nicht uͤbel. Sie koſtete noch ein-
mal, und dann wieder, gab mir davon, ich
konnte aber nichts genießen. Ich bat noch-
mals, die Frucht wegzuwerfen; allein ſie
fand den Geſchmack ſuͤßer und angenehmer,
je mehr ſie genoß. Wir beſchloſſen, die
Pflanze zu verſetzen, ſprachen und ergoͤtzten
uns an kuͤnftigen Einrichtungen noch lange
Zeit. Ploͤzlich verſtummte ſie, entſank ſich
windend meinem Arme, ich faßte ſie auf,
rief; umſonſt! alle Glieder zitterten mit kon-
vulſiviſcher Bewegung, die Muſkeln des Ge-
ſichts verzerrten ſich in ſchreckliche Minen,
ſie ſchluchzte noch einige unvernehmliche
Worte, ſtarrte dahin und — ſtarb.
Er verſtummte, und die Geſchichte ſelbſt
lehre den Leſer ſeine Empfindung. —
Mitten in der Nacht als die ganze kleine
Kolonie in dem tiefſten ſorgenloſeſten Schlafe
lag — denn vor welchem Eigennutze ſollten
ſie in der abgeſonderſten Einſamkeit ſich
fuͤrchten? — weckte Belphegorn ploͤzlich ein
Getoͤſe, das immer mehr ſich verſtaͤrckte,
und naͤher ruͤckte: er hob ſich empor und
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/115>, abgerufen am 22.12.2024.
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