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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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gehn. -- Eines Morgens kurz nach unsrer
Ankunft in diesem Thale, als die frischeste
Heiterkeit die ganze Natur belebte, saß ich,
meine Lucie im Arme, auf diesem Stein und
freute mich mit ihr über die Ruhe, die wir
genossen, und die Drangsale, denen wir ent-
gangen waren, und waren so zufrieden und
liebten uns in der glücklichsten Trunkenheit
und Vergessenheit unsrer selbst; wir dachten
auf den Plan, wie wir unser kleines Feld
bepflanzen, und diesem freygebigen Boden
unsre nothdürftige Nahrung abgewinnen
wollten. -- Siehe! rief sie und wies auf
ein blühendes Gewächs, das zwischen den
Bäumen stund, auch dieses müssen wir
pflanzen; es lacht so lieblich; wer weis,
welche heilsame Kräfte es in sich verbirgt?
Laß uns versuchen! So sprach sie und langte
darnach. Nein, sagte ich und hielt sie zu-
rück, laß mich lieber zuerst sehn; wäre es
Gift, es könnte dich tödten. Wie könnte,
erwiederte sie, unter einem so einladenden
Blicke tödtendes Gift verborgen seyn? ich
pflanze es um unser Haus, wäre es auch
nur um seiner reizenden Blüthe willen. --
Sie pflückte einen Zweig ab, kostete die

Frucht

gehn. — Eines Morgens kurz nach unſrer
Ankunft in dieſem Thale, als die friſcheſte
Heiterkeit die ganze Natur belebte, ſaß ich,
meine Lucie im Arme, auf dieſem Stein und
freute mich mit ihr uͤber die Ruhe, die wir
genoſſen, und die Drangſale, denen wir ent-
gangen waren, und waren ſo zufrieden und
liebten uns in der gluͤcklichſten Trunkenheit
und Vergeſſenheit unſrer ſelbſt; wir dachten
auf den Plan, wie wir unſer kleines Feld
bepflanzen, und dieſem freygebigen Boden
unſre nothduͤrftige Nahrung abgewinnen
wollten. — Siehe! rief ſie und wies auf
ein bluͤhendes Gewaͤchs, das zwiſchen den
Baͤumen ſtund, auch dieſes muͤſſen wir
pflanzen; es lacht ſo lieblich; wer weis,
welche heilſame Kraͤfte es in ſich verbirgt?
Laß uns verſuchen! So ſprach ſie und langte
darnach. Nein, ſagte ich und hielt ſie zu-
ruͤck, laß mich lieber zuerſt ſehn; waͤre es
Gift, es koͤnnte dich toͤdten. Wie koͤnnte,
erwiederte ſie, unter einem ſo einladenden
Blicke toͤdtendes Gift verborgen ſeyn? ich
pflanze es um unſer Haus, waͤre es auch
nur um ſeiner reizenden Bluͤthe willen. —
Sie pfluͤckte einen Zweig ab, koſtete die

Frucht
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[108/0114] gehn. — Eines Morgens kurz nach unſrer Ankunft in dieſem Thale, als die friſcheſte Heiterkeit die ganze Natur belebte, ſaß ich, meine Lucie im Arme, auf dieſem Stein und freute mich mit ihr uͤber die Ruhe, die wir genoſſen, und die Drangſale, denen wir ent- gangen waren, und waren ſo zufrieden und liebten uns in der gluͤcklichſten Trunkenheit und Vergeſſenheit unſrer ſelbſt; wir dachten auf den Plan, wie wir unſer kleines Feld bepflanzen, und dieſem freygebigen Boden unſre nothduͤrftige Nahrung abgewinnen wollten. — Siehe! rief ſie und wies auf ein bluͤhendes Gewaͤchs, das zwiſchen den Baͤumen ſtund, auch dieſes muͤſſen wir pflanzen; es lacht ſo lieblich; wer weis, welche heilſame Kraͤfte es in ſich verbirgt? Laß uns verſuchen! So ſprach ſie und langte darnach. Nein, ſagte ich und hielt ſie zu- ruͤck, laß mich lieber zuerſt ſehn; waͤre es Gift, es koͤnnte dich toͤdten. Wie koͤnnte, erwiederte ſie, unter einem ſo einladenden Blicke toͤdtendes Gift verborgen ſeyn? ich pflanze es um unſer Haus, waͤre es auch nur um ſeiner reizenden Bluͤthe willen. — Sie pfluͤckte einen Zweig ab, koſtete die Frucht

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/114>, abgerufen am 22.12.2024.