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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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diesen Freudensbezeugungen hub sich der Alte
empor und sprach mit ernster Mine: Freund,
noch eine Pflicht ist mir übrig -- eine
traurige aber doch süße Pflicht: begleite mich!
Du kanst empfinden; Du wirst also kein
überflüßiger, kein müßiger Zeuge davon
seyn. --

Belphegor staunte voller Erwartung, als
die beiden Töchter den Alten unter die Arme
faßten und ihn seitwärts durch einen ge-
krümmten Weg in ein dunkles Zypressenwäld-
chen führten, das jedem, der hineintrat,
einen heiligen Schauer entgegen sandte: durch
die Spitzen der Bäume fiel düstrer Mond-
schein auf den Weg und auf einzelne Plätze
zwischen den Bäumen, wo ihn eine zufällige
Oeffnung durchließ: Stille herrschte überall
und weit sahe das Auge in eine langgedehnte
Düsternheit hinab, die aber der Blick mehr
vermuthen als sehen ließ. Der Greis gieng
stillschweigend fort bis zu einem Steine, wo
er sich seufzend niedersetzte und mit einem
Tone, der Thränen vermuthen ließ, zu Bel-
phegorn sprach: Itzt, Freund, will ich Dir
ihre Geschichte erzählen, dann tröpfle ein
Paar Thränen auf diesen Stein! und wir

gehn.

dieſen Freudensbezeugungen hub ſich der Alte
empor und ſprach mit ernſter Mine: Freund,
noch eine Pflicht iſt mir uͤbrig — eine
traurige aber doch ſuͤße Pflicht: begleite mich!
Du kanſt empfinden; Du wirſt alſo kein
uͤberfluͤßiger, kein muͤßiger Zeuge davon
ſeyn. —

Belphegor ſtaunte voller Erwartung, als
die beiden Toͤchter den Alten unter die Arme
faßten und ihn ſeitwaͤrts durch einen ge-
kruͤmmten Weg in ein dunkles Zypreſſenwaͤld-
chen fuͤhrten, das jedem, der hineintrat,
einen heiligen Schauer entgegen ſandte: durch
die Spitzen der Baͤume fiel duͤſtrer Mond-
ſchein auf den Weg und auf einzelne Plaͤtze
zwiſchen den Baͤumen, wo ihn eine zufaͤllige
Oeffnung durchließ: Stille herrſchte uͤberall
und weit ſahe das Auge in eine langgedehnte
Duͤſternheit hinab, die aber der Blick mehr
vermuthen als ſehen ließ. Der Greis gieng
ſtillſchweigend fort bis zu einem Steine, wo
er ſich ſeufzend niederſetzte und mit einem
Tone, der Thraͤnen vermuthen ließ, zu Bel-
phegorn ſprach: Itzt, Freund, will ich Dir
ihre Geſchichte erzaͤhlen, dann troͤpfle ein
Paar Thraͤnen auf dieſen Stein! und wir

gehn.
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[107/0113] dieſen Freudensbezeugungen hub ſich der Alte empor und ſprach mit ernſter Mine: Freund, noch eine Pflicht iſt mir uͤbrig — eine traurige aber doch ſuͤße Pflicht: begleite mich! Du kanſt empfinden; Du wirſt alſo kein uͤberfluͤßiger, kein muͤßiger Zeuge davon ſeyn. — Belphegor ſtaunte voller Erwartung, als die beiden Toͤchter den Alten unter die Arme faßten und ihn ſeitwaͤrts durch einen ge- kruͤmmten Weg in ein dunkles Zypreſſenwaͤld- chen fuͤhrten, das jedem, der hineintrat, einen heiligen Schauer entgegen ſandte: durch die Spitzen der Baͤume fiel duͤſtrer Mond- ſchein auf den Weg und auf einzelne Plaͤtze zwiſchen den Baͤumen, wo ihn eine zufaͤllige Oeffnung durchließ: Stille herrſchte uͤberall und weit ſahe das Auge in eine langgedehnte Duͤſternheit hinab, die aber der Blick mehr vermuthen als ſehen ließ. Der Greis gieng ſtillſchweigend fort bis zu einem Steine, wo er ſich ſeufzend niederſetzte und mit einem Tone, der Thraͤnen vermuthen ließ, zu Bel- phegorn ſprach: Itzt, Freund, will ich Dir ihre Geſchichte erzaͤhlen, dann troͤpfle ein Paar Thraͤnen auf dieſen Stein! und wir gehn.

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/113>, abgerufen am 22.12.2024.