Aber höre nur! Auf dem Todbette, unter dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, müßte dein Herz noch bey solchen Tönen erwachen und schneller schlagen. Komm! wir müssen hinein! --
Belphegor sträubte sich lange, setzte ihr noch manche schwarze und bittre Anmerkung über das arme Menschengeschlecht entgegen: nichts half! Je länger er ihr Vergnügen aufhielt, desto stärker wurde ihr Verlangen. Sie quälte ihn so lange, bis er sich endlich nach einem Eingange, und da er diesen nicht fand, nach einem bequemen Orte zum Durchbrechen umsah. Akante, die über seine saumselige Bedachtsamkeit höchst unge- duldig war, versuchte selbst allenthalben, den Weg zu eröffnen, rizte sich blutig, entkräf- tete sich und kam nie zum Zwecke. Indessen fand Velphegor eine kleine schmale Oeffnung, wo die Dornen weniger dicht stunden und einer vorsichtigen Beugung nachgaben: hier machte er einen Versuch und es gelang ihm wirklich, mit etlichen leichten Verwundun- gen durchzuschlüpfen. So sehr er auch Akan- ten Behutsamkeit und Langsamkeit empfahl, so war doch ihre Begierde zu feurig, sie über-
eilte
Aber hoͤre nur! Auf dem Todbette, unter dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, muͤßte dein Herz noch bey ſolchen Toͤnen erwachen und ſchneller ſchlagen. Komm! wir muͤſſen hinein! —
Belphegor ſtraͤubte ſich lange, ſetzte ihr noch manche ſchwarze und bittre Anmerkung uͤber das arme Menſchengeſchlecht entgegen: nichts half! Je laͤnger er ihr Vergnuͤgen aufhielt, deſto ſtaͤrker wurde ihr Verlangen. Sie quaͤlte ihn ſo lange, bis er ſich endlich nach einem Eingange, und da er dieſen nicht fand, nach einem bequemen Orte zum Durchbrechen umſah. Akante, die uͤber ſeine ſaumſelige Bedachtſamkeit hoͤchſt unge- duldig war, verſuchte ſelbſt allenthalben, den Weg zu eroͤffnen, rizte ſich blutig, entkraͤf- tete ſich und kam nie zum Zwecke. Indeſſen fand Velphegor eine kleine ſchmale Oeffnung, wo die Dornen weniger dicht ſtunden und einer vorſichtigen Beugung nachgaben: hier machte er einen Verſuch und es gelang ihm wirklich, mit etlichen leichten Verwundun- gen durchzuſchluͤpfen. So ſehr er auch Akan- ten Behutſamkeit und Langſamkeit empfahl, ſo war doch ihre Begierde zu feurig, ſie uͤber-
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Aber hoͤre nur! Auf dem Todbette, unter
dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, muͤßte
dein Herz noch bey ſolchen Toͤnen erwachen
und ſchneller ſchlagen. Komm! wir muͤſſen
hinein! —
Belphegor ſtraͤubte ſich lange, ſetzte ihr
noch manche ſchwarze und bittre Anmerkung
uͤber das arme Menſchengeſchlecht entgegen:
nichts half! Je laͤnger er ihr Vergnuͤgen
aufhielt, deſto ſtaͤrker wurde ihr Verlangen.
Sie quaͤlte ihn ſo lange, bis er ſich endlich
nach einem Eingange, und da er dieſen
nicht fand, nach einem bequemen Orte zum
Durchbrechen umſah. Akante, die uͤber
ſeine ſaumſelige Bedachtſamkeit hoͤchſt unge-
duldig war, verſuchte ſelbſt allenthalben, den
Weg zu eroͤffnen, rizte ſich blutig, entkraͤf-
tete ſich und kam nie zum Zwecke. Indeſſen
fand Velphegor eine kleine ſchmale Oeffnung,
wo die Dornen weniger dicht ſtunden und
einer vorſichtigen Beugung nachgaben: hier
machte er einen Verſuch und es gelang ihm
wirklich, mit etlichen leichten Verwundun-
gen durchzuſchluͤpfen. So ſehr er auch Akan-
ten Behutſamkeit und Langſamkeit empfahl,
ſo war doch ihre Begierde zu feurig, ſie uͤber-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/180>, abgerufen am 22.12.2024.
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