der andern sie wieder von mir entfernt? -- O Labyrinth! O Räthsel! Der Tod schneider den Knoten am besten entzwey. Wohlan! zeugt die Natur Geschöpfe, um sie in Qual zu versenken; macht sie so herrliche Anstal- ten, um sie unter einander zusammenzu- knüpfen, daß sie erst hungern, frieren, schmachten, die äußerste Erschöpfung der Kräfte durch Schmerz und Gefahren erdul- den, sich kränken, verfolgen, martern, er- würgen müssen, damit der kleine Rest, der der Gefahr und dem ganzen tollen Spiele der Welt entrann, sich lieben und in Friede bey einander wohnen könne; durchwebte sie dieses Leben mit Dornen, um uns die ein- zeln blühenden Blümchen desto wohlthuen- der, einnehmender zu machen; gab sie ihren Geschöpfen eine so traurige Fruchtbarkeit, daß sie mehrere ihres Gleichen hervorbrach- ten, als nach der Veranstaltung des Schick- fals ernährt und erhalten werden konnten: -- mag sie es verantworten! Ich kann nicht mit ihr rechten: denn -- unglücklich genug! -- wir haben keinen Richterstuhl, der über uns erkennt; der Mensch, ihre Kreatur, muß leiden, weil er der schwächere,
weil
der andern ſie wieder von mir entfernt? — O Labyrinth! O Raͤthſel! Der Tod ſchneider den Knoten am beſten entzwey. Wohlan! zeugt die Natur Geſchoͤpfe, um ſie in Qual zu verſenken; macht ſie ſo herrliche Anſtal- ten, um ſie unter einander zuſammenzu- knuͤpfen, daß ſie erſt hungern, frieren, ſchmachten, die aͤußerſte Erſchoͤpfung der Kraͤfte durch Schmerz und Gefahren erdul- den, ſich kraͤnken, verfolgen, martern, er- wuͤrgen muͤſſen, damit der kleine Reſt, der der Gefahr und dem ganzen tollen Spiele der Welt entrann, ſich lieben und in Friede bey einander wohnen koͤnne; durchwebte ſie dieſes Leben mit Dornen, um uns die ein- zeln bluͤhenden Bluͤmchen deſto wohlthuen- der, einnehmender zu machen; gab ſie ihren Geſchoͤpfen eine ſo traurige Fruchtbarkeit, daß ſie mehrere ihres Gleichen hervorbrach- ten, als nach der Veranſtaltung des Schick- fals ernaͤhrt und erhalten werden konnten: — mag ſie es verantworten! Ich kann nicht mit ihr rechten: denn — ungluͤcklich genug! — wir haben keinen Richterſtuhl, der uͤber uns erkennt; der Menſch, ihre Kreatur, muß leiden, weil er der ſchwaͤchere,
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[201/0207]
der andern ſie wieder von mir entfernt? —
O Labyrinth! O Raͤthſel! Der Tod ſchneider
den Knoten am beſten entzwey. Wohlan!
zeugt die Natur Geſchoͤpfe, um ſie in Qual
zu verſenken; macht ſie ſo herrliche Anſtal-
ten, um ſie unter einander zuſammenzu-
knuͤpfen, daß ſie erſt hungern, frieren,
ſchmachten, die aͤußerſte Erſchoͤpfung der
Kraͤfte durch Schmerz und Gefahren erdul-
den, ſich kraͤnken, verfolgen, martern, er-
wuͤrgen muͤſſen, damit der kleine Reſt, der
der Gefahr und dem ganzen tollen Spiele
der Welt entrann, ſich lieben und in Friede
bey einander wohnen koͤnne; durchwebte ſie
dieſes Leben mit Dornen, um uns die ein-
zeln bluͤhenden Bluͤmchen deſto wohlthuen-
der, einnehmender zu machen; gab ſie ihren
Geſchoͤpfen eine ſo traurige Fruchtbarkeit,
daß ſie mehrere ihres Gleichen hervorbrach-
ten, als nach der Veranſtaltung des Schick-
fals ernaͤhrt und erhalten werden konnten:
— mag ſie es verantworten! Ich kann
nicht mit ihr rechten: denn — ungluͤcklich
genug! — wir haben keinen Richterſtuhl,
der uͤber uns erkennt; der Menſch, ihre
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/207>, abgerufen am 22.12.2024.
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