und von den Vögeln des Himmels zerstückt werden! Kein Jüngling soll eine einzige Strophe auf meinen Hintritt singen! kein Lieb- haber eine Thräne auf meine erblaßten Wan- gen tröpfeln und sie wieder aufküssen! -- Nichts, alles nichts! alles nichts! alles ist aus! Ich muß sterben, unbeklagt sterben! -- Belphegor, du hast Recht: das lächer- liche thörichte Leben ist nicht werth, daß man es durchlebt, weil man es so bald mis- sen muß. Ich habe von Heiden, Juden und Christen leiden müssen, und die gräuli- chen Keile waren alle eins: aber ich habe auch Freuden genossen, und da ich sie wie- der zu erlangen hoffe, so soll ich gar sterben! sie auf ewig missen! -- O du tolles abge- schmacktes Leben! wärst du nur schon vor- über! -- Sie weinte bitterlich.
Beide wollten sterben; allein da der Tod mit seiner saumseligen Hülfe nicht allzeit auf die erste Bitte erscheint, so kam indessen zu Stillung ihrer Schmerzen sein Bruder -- der Schlaf.
Bey ihrem Erwachen, das etwas spät des Tages darauf erfolgte, sahen sie einen Trupp Kanote nicht weit von ihrer Insel in
Ord-
und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb- haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan- gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! — Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben! — Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher- liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ- ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli- chen Keile waren alle eins: aber ich habe auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie- der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben! ſie auf ewig miſſen! — O du tolles abge- ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor- uͤber! — Sie weinte bitterlich.
Beide wollten ſterben; allein da der Tod mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder — der Schlaf.
Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel in
Ord-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0209"n="203"/>
und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt<lb/>
werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige<lb/>
Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb-<lb/>
haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan-<lb/>
gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! —<lb/>
Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt<lb/>
aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben!<lb/>— Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher-<lb/>
liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß<lb/>
man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ-<lb/>ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden<lb/>
und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli-<lb/>
chen Keile waren alle eins: aber ich habe<lb/>
auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie-<lb/>
der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben!<lb/>ſie auf ewig miſſen! — O du tolles abge-<lb/>ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor-<lb/>
uͤber! — Sie weinte bitterlich.</p><lb/><p>Beide wollten ſterben; allein da der Tod<lb/>
mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf<lb/>
die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu<lb/>
Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder —<lb/>
der Schlaf.</p><lb/><p>Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt<lb/>
des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen<lb/>
Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel in<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ord-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[203/0209]
und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt
werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige
Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb-
haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan-
gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! —
Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt
aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben!
— Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher-
liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß
man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ-
ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden
und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli-
chen Keile waren alle eins: aber ich habe
auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie-
der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben!
ſie auf ewig miſſen! — O du tolles abge-
ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor-
uͤber! — Sie weinte bitterlich.
Beide wollten ſterben; allein da der Tod
mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf
die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu
Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder —
der Schlaf.
Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt
des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen
Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel in
Ord-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/209>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.