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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Schicksals oder der Vorsehung seyn möch-
ten: genug, sie sollte sie genießen, und war
damit zufrieden, daß sie sie genießen sollte.
Belphegor hingegen lief täglich und stünd-
lich die traurige Geschichte seines vergang-
nen Lebens durch, fand überall Gelegenheit
zu klagen und mit seinem Glauben sich auf
die Seite eines blinden Schicksals zu neigen,
wozu Medardus mit seinem unumschränkten
Vertrauen auf eine Vorsehung nicht wenig
beytrug, weil er ihm dadurch immer Gele-
genheit gab, zu seinen Zweifeln und dem
Nachdenken darüber zurückzukehren.

Indessen hatte das Schiff seinen Weg
nach Panama angefangen und jede Stunde,
die Medardus missen konnte, brachte er mit
Belphegorn zu, um einander zu erzählen
und Aumerkungen darüber zu machen.

Was findest Du nun in meinem ganzen
Lebenslauf? fragte Belphegor eines Abends,
als er seine Geschichte von dem Brande in
Niemeamaye bis auf den gegenwärtigen
Augenblick geendigt hatte -- was findest Du
darinne, blindes Schicksal oder überlegte
Vorsehung? Ich wollte durch eine Reihe
Beschwerlichkeiten dahin, die Neid und Bos-

heit
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Schickſals oder der Vorſehung ſeyn moͤch-
ten: genug, ſie ſollte ſie genießen, und war
damit zufrieden, daß ſie ſie genießen ſollte.
Belphegor hingegen lief taͤglich und ſtuͤnd-
lich die traurige Geſchichte ſeines vergang-
nen Lebens durch, fand uͤberall Gelegenheit
zu klagen und mit ſeinem Glauben ſich auf
die Seite eines blinden Schickſals zu neigen,
wozu Medardus mit ſeinem unumſchraͤnkten
Vertrauen auf eine Vorſehung nicht wenig
beytrug, weil er ihm dadurch immer Gele-
genheit gab, zu ſeinen Zweifeln und dem
Nachdenken daruͤber zuruͤckzukehren.

Indeſſen hatte das Schiff ſeinen Weg
nach Panama angefangen und jede Stunde,
die Medardus miſſen konnte, brachte er mit
Belphegorn zu, um einander zu erzaͤhlen
und Aumerkungen daruͤber zu machen.

Was findeſt Du nun in meinem ganzen
Lebenslauf? fragte Belphegor eines Abends,
als er ſeine Geſchichte von dem Brande in
Niemeamaye bis auf den gegenwaͤrtigen
Augenblick geendigt hatte — was findeſt Du
darinne, blindes Schickſal oder uͤberlegte
Vorſehung? Ich wollte durch eine Reihe
Beſchwerlichkeiten dahin, die Neid und Bos-

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[225/0231] Schickſals oder der Vorſehung ſeyn moͤch- ten: genug, ſie ſollte ſie genießen, und war damit zufrieden, daß ſie ſie genießen ſollte. Belphegor hingegen lief taͤglich und ſtuͤnd- lich die traurige Geſchichte ſeines vergang- nen Lebens durch, fand uͤberall Gelegenheit zu klagen und mit ſeinem Glauben ſich auf die Seite eines blinden Schickſals zu neigen, wozu Medardus mit ſeinem unumſchraͤnkten Vertrauen auf eine Vorſehung nicht wenig beytrug, weil er ihm dadurch immer Gele- genheit gab, zu ſeinen Zweifeln und dem Nachdenken daruͤber zuruͤckzukehren. Indeſſen hatte das Schiff ſeinen Weg nach Panama angefangen und jede Stunde, die Medardus miſſen konnte, brachte er mit Belphegorn zu, um einander zu erzaͤhlen und Aumerkungen daruͤber zu machen. Was findeſt Du nun in meinem ganzen Lebenslauf? fragte Belphegor eines Abends, als er ſeine Geſchichte von dem Brande in Niemeamaye bis auf den gegenwaͤrtigen Augenblick geendigt hatte — was findeſt Du darinne, blindes Schickſal oder uͤberlegte Vorſehung? Ich wollte durch eine Reihe Beſchwerlichkeiten dahin, die Neid und Bos- heit P 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/231>, abgerufen am 22.12.2024.