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Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ja selbst zwischen Jäger und Wilddieb hat sich mitten in der Gesetzlosigkeit ein eigenes Recht gebildet, das Niemand kennt als die Betheiligten, weil es sonst gegen Niemand gewendet wird. Es besteht eine Art langhergebrachten Abkommens, wenn man schießt, wenn man mordet, wer sich rächen darf, und was gerächt werden muß. Der kleine Krieg mit all seinen Listen und auch Grausamkeiten lernt sich von Vater an Sohn; die feinsten Kunstgriffe vererben als Geheimlehre von Anführer an Anführer. Dawider läßt sich nur wenig thun, weil der Bauer kein böses Gewissen bei der Wilderei hat; denn sein Kopf begreift einmal nicht, daß Wald und Weide nicht Allen frei und gemeinsam sein sollen.

Namentlich sind es einige Thäler im badischen Hochwald, voran das Wolfsthal, wo die gefährlichsten Wilderer wohnen, die natürlich auch vor einem anders gefärbten Grenzpfahl keine Scheu haben und in anderen Herrschaften stehlen, was sie im Badischen nicht finden können.

In diesem Thale liegen die Wohnungen zerstreut, kleine Hütten, halb in den Berg gebaut zum Schutz gegen die Winterstürme, mitten im Wiesengrün, zwischen kleinen Hecken und unordentlichen Zäunen; kaum ein Kirschbaum oder ein verwehter Zwetschgenbaum deuten auf Anbau, und auch vom Handwerk verstehen die Bewohner nicht viel, obwohl sie von Natur gar anstellig zu künstlicher Arbeit sind.

Ja selbst zwischen Jäger und Wilddieb hat sich mitten in der Gesetzlosigkeit ein eigenes Recht gebildet, das Niemand kennt als die Betheiligten, weil es sonst gegen Niemand gewendet wird. Es besteht eine Art langhergebrachten Abkommens, wenn man schießt, wenn man mordet, wer sich rächen darf, und was gerächt werden muß. Der kleine Krieg mit all seinen Listen und auch Grausamkeiten lernt sich von Vater an Sohn; die feinsten Kunstgriffe vererben als Geheimlehre von Anführer an Anführer. Dawider läßt sich nur wenig thun, weil der Bauer kein böses Gewissen bei der Wilderei hat; denn sein Kopf begreift einmal nicht, daß Wald und Weide nicht Allen frei und gemeinsam sein sollen.

Namentlich sind es einige Thäler im badischen Hochwald, voran das Wolfsthal, wo die gefährlichsten Wilderer wohnen, die natürlich auch vor einem anders gefärbten Grenzpfahl keine Scheu haben und in anderen Herrschaften stehlen, was sie im Badischen nicht finden können.

In diesem Thale liegen die Wohnungen zerstreut, kleine Hütten, halb in den Berg gebaut zum Schutz gegen die Winterstürme, mitten im Wiesengrün, zwischen kleinen Hecken und unordentlichen Zäunen; kaum ein Kirschbaum oder ein verwehter Zwetschgenbaum deuten auf Anbau, und auch vom Handwerk verstehen die Bewohner nicht viel, obwohl sie von Natur gar anstellig zu künstlicher Arbeit sind.

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[0012] Ja selbst zwischen Jäger und Wilddieb hat sich mitten in der Gesetzlosigkeit ein eigenes Recht gebildet, das Niemand kennt als die Betheiligten, weil es sonst gegen Niemand gewendet wird. Es besteht eine Art langhergebrachten Abkommens, wenn man schießt, wenn man mordet, wer sich rächen darf, und was gerächt werden muß. Der kleine Krieg mit all seinen Listen und auch Grausamkeiten lernt sich von Vater an Sohn; die feinsten Kunstgriffe vererben als Geheimlehre von Anführer an Anführer. Dawider läßt sich nur wenig thun, weil der Bauer kein böses Gewissen bei der Wilderei hat; denn sein Kopf begreift einmal nicht, daß Wald und Weide nicht Allen frei und gemeinsam sein sollen. Namentlich sind es einige Thäler im badischen Hochwald, voran das Wolfsthal, wo die gefährlichsten Wilderer wohnen, die natürlich auch vor einem anders gefärbten Grenzpfahl keine Scheu haben und in anderen Herrschaften stehlen, was sie im Badischen nicht finden können. In diesem Thale liegen die Wohnungen zerstreut, kleine Hütten, halb in den Berg gebaut zum Schutz gegen die Winterstürme, mitten im Wiesengrün, zwischen kleinen Hecken und unordentlichen Zäunen; kaum ein Kirschbaum oder ein verwehter Zwetschgenbaum deuten auf Anbau, und auch vom Handwerk verstehen die Bewohner nicht viel, obwohl sie von Natur gar anstellig zu künstlicher Arbeit sind.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:16:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:16:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/12>, abgerufen am 21.11.2024.