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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, sechstes Capitel.
Glük meiner Nebengeschöpfe befördern kann. "Du bist
sehr dienstfertig; gesezt aber es sey so, wie hängt die-
ses mit demjenigen zusammen, wovon izt die Rede ist?"
Das ist leicht zu sehen. Gesezt, ich überliesse mich den
Eindrüken, welche die Reizungen der schönen Cyane auf
mich machen könnten; gesezt, sie liebte mich, und liesse
mich alles erfahren, was die Wollust berauschendes hat;
eine Verbindung von dieser Art könnte von keiner lan-
gen Dauer seyn; aber würden die Erinnerungen der ge-
noßnen Freuden nicht die Begierde erweken, sie wieder zu
geniessen?" Eine neue Cyane" -- würde mir wieder
gleichgültig werden, und eben diese Begierden zurük
lassen. "Eine immerwährende Abwechslung ist also
hierinn, wie du stehst, das Gesez der Natur." Aber
auf diese Art würde ichs gar bald so weit bringen, kei-
ner Begierde widerstehen zu können. "Wozu brauchst du zu
widerstehen, so lange deine Begierden in den Schranken
der Natur und der Mäßigung bleiben?" Wie aber, wenn
endlich das Weib meines Freundes, oder welche es sonst
wäre, die der ehrwürdige Name einer Mutter gegen
den blossen Gedanken eines unkeuschen Anfalls sicher
stellen soll; oder wie, wenn die unschuldige Jugend ei-
ner Tochter, die vielleicht kein andres Heurathsgut als
ihre Unschuld und Schönheit hat; der Gegenstand die-
ser Begierden würde, über die ich durch so vieles Nach-
geben alle Gewalt verlohren hätte? "So hättest du
dich in Griechenland wenigstens vor den Gesezen vor-
zusehen. Allein was müste das für ein Hirn seyn, das
in solchen Umständen kein Mittel ausfündig machen

könnte,

Drittes Buch, ſechſtes Capitel.
Gluͤk meiner Nebengeſchoͤpfe befoͤrdern kann. „Du biſt
ſehr dienſtfertig; geſezt aber es ſey ſo, wie haͤngt die-
ſes mit demjenigen zuſammen, wovon izt die Rede iſt?„
Das iſt leicht zu ſehen. Geſezt, ich uͤberlieſſe mich den
Eindruͤken, welche die Reizungen der ſchoͤnen Cyane auf
mich machen koͤnnten; geſezt, ſie liebte mich, und lieſſe
mich alles erfahren, was die Wolluſt berauſchendes hat;
eine Verbindung von dieſer Art koͤnnte von keiner lan-
gen Dauer ſeyn; aber wuͤrden die Erinnerungen der ge-
noßnen Freuden nicht die Begierde erweken, ſie wieder zu
genieſſen?„ Eine neue Cyane„ ‒‒ wuͤrde mir wieder
gleichguͤltig werden, und eben dieſe Begierden zuruͤk
laſſen. „Eine immerwaͤhrende Abwechslung iſt alſo
hierinn, wie du ſtehſt, das Geſez der Natur.„ Aber
auf dieſe Art wuͤrde ichs gar bald ſo weit bringen, kei-
ner Begierde widerſtehen zu koͤnnen. „Wozu brauchſt du zu
widerſtehen, ſo lange deine Begierden in den Schranken
der Natur und der Maͤßigung bleiben?„ Wie aber, wenn
endlich das Weib meines Freundes, oder welche es ſonſt
waͤre, die der ehrwuͤrdige Name einer Mutter gegen
den bloſſen Gedanken eines unkeuſchen Anfalls ſicher
ſtellen ſoll; oder wie, wenn die unſchuldige Jugend ei-
ner Tochter, die vielleicht kein andres Heurathsgut als
ihre Unſchuld und Schoͤnheit hat; der Gegenſtand die-
ſer Begierden wuͤrde, uͤber die ich durch ſo vieles Nach-
geben alle Gewalt verlohren haͤtte? „So haͤtteſt du
dich in Griechenland wenigſtens vor den Geſezen vor-
zuſehen. Allein was muͤſte das fuͤr ein Hirn ſeyn, das
in ſolchen Umſtaͤnden kein Mittel ausfuͤndig machen

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[127/0149] Drittes Buch, ſechſtes Capitel. Gluͤk meiner Nebengeſchoͤpfe befoͤrdern kann. „Du biſt ſehr dienſtfertig; geſezt aber es ſey ſo, wie haͤngt die- ſes mit demjenigen zuſammen, wovon izt die Rede iſt?„ Das iſt leicht zu ſehen. Geſezt, ich uͤberlieſſe mich den Eindruͤken, welche die Reizungen der ſchoͤnen Cyane auf mich machen koͤnnten; geſezt, ſie liebte mich, und lieſſe mich alles erfahren, was die Wolluſt berauſchendes hat; eine Verbindung von dieſer Art koͤnnte von keiner lan- gen Dauer ſeyn; aber wuͤrden die Erinnerungen der ge- noßnen Freuden nicht die Begierde erweken, ſie wieder zu genieſſen?„ Eine neue Cyane„ ‒‒ wuͤrde mir wieder gleichguͤltig werden, und eben dieſe Begierden zuruͤk laſſen. „Eine immerwaͤhrende Abwechslung iſt alſo hierinn, wie du ſtehſt, das Geſez der Natur.„ Aber auf dieſe Art wuͤrde ichs gar bald ſo weit bringen, kei- ner Begierde widerſtehen zu koͤnnen. „Wozu brauchſt du zu widerſtehen, ſo lange deine Begierden in den Schranken der Natur und der Maͤßigung bleiben?„ Wie aber, wenn endlich das Weib meines Freundes, oder welche es ſonſt waͤre, die der ehrwuͤrdige Name einer Mutter gegen den bloſſen Gedanken eines unkeuſchen Anfalls ſicher ſtellen ſoll; oder wie, wenn die unſchuldige Jugend ei- ner Tochter, die vielleicht kein andres Heurathsgut als ihre Unſchuld und Schoͤnheit hat; der Gegenſtand die- ſer Begierden wuͤrde, uͤber die ich durch ſo vieles Nach- geben alle Gewalt verlohren haͤtte? „So haͤtteſt du dich in Griechenland wenigſtens vor den Geſezen vor- zuſehen. Allein was muͤſte das fuͤr ein Hirn ſeyn, das in ſolchen Umſtaͤnden kein Mittel ausfuͤndig machen koͤnnte,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/149>, abgerufen am 27.11.2024.